Hamburg, ich komme!

»Uh, da ist es mir zu unübersichtlich!« »Wir haben es uns auch überlegt, uns ist es aber zu gefährlich.« Das hörte ich, als ich erzählte, dass ich nach Hamburg zur Großdemo gegen das G20-Treffen fahre. Und diese Äußerungen bestärken mich in meiner Entscheidung, denn wenn man in Deutschland Angst haben muss, zu demonstrieren, ist genau das notwendiger denn je!

Lange habe ich selbst überlegt, ob ich nach Hamburg fahren soll oder nicht. Der Weg von Stuttgart nach Hamburg ist weit. Ich bräuchte eigentlich mal wieder ein Wochenende zum Ausspannen. Lust auf hochgerüstete Polizei, nein, generell auf Polizei habe ich seit langem gar keine. … Es gibt so viele gute Gründe.

Und jetzt fahre ich also doch. Es ist inzwischen nicht einmal so sehr der G20-Gipfel an sich, der mich dazu bringt, nach Hamburg zu fahren. Sollen sie sich doch treffen, die internationalen Jünger des Neoliberalismus. Immerhin reden sie aktuell miteinander und bekriegen sich nicht. Immerhin! Und sollen sie doch besprechen, wie sie die Welt weiter für den Profit eines kleinen elitären Kreises noch rasanter gegen die Wand fahren können. Armes Afrika! Die Ärmsten der Armen sind leichte Beute. Ich will aber genau dagegen meinen Protest äußern! Direkt vor Ort! In Hamburg! Das Recht habe ich noch – wenn mein Zug nicht aufgehalten wird oder mir der Zugang zur Veranstaltung und zur Demo verwehrt wird. Hier wird »Recht« sehr relativ und theoretisch.

Aber sollen sie sich nur treffen und unter sich beratschlagen, anstatt die Vereinten Nationen zu stärken und die Agenda dort zu besprechen. Bei den Vereinten Nationen wollen nur viel zu viele mitreden, die ganz andere Interessen haben als die G20, die wirtschaftlich stärksten Länder der Erde. Deshalb trifft man sich lieber unter Seinesgleichen. Mein Protest richtet sich auch dagegen, dass die Vereinten Nationen, die aus der Erfahrung zweier Weltkriege geschaffen wurden, immer weiter desavouiert werden – auch durch Treffen wie die G20.

Man könnte sich ja als G20 auch im kleinen Kreis treffen. Man müsste es ja nicht so an die große Glocke hängen. Was mich aber doch sehr stört, ist genau das Ausmaß des Treffens. Braucht es so ein riesiges Treffen? Braucht es das ganze Tamtam darum? Auch deswegen will ich auf die Straße gehen!

Und ein weiterer Grund, warum ich nach Hamburg fahre: ich habe es satt, dass überall im ach so demokratischen, freiheitlichen Deutschland die Bürgerrechte, unsere Grundrechte, die durch unsere Verfassung gewährleistet wird, mit Füßen getreten werden. Politik und Polizei schwingen sich – immer öfter auch mit Rückendeckung der Judikative – über das Gesetz auf und meinen, Grundrechte mal eben aushebeln zu dürfen. Es gilt, erst einmal Fakten zu schaffen, das Recht des Stärkeren durchzusetzen und erst danach höchstrichterlich entscheiden zu lassen, was nun rechtens war und was nicht. Eine entsetzliche Situation, die so nicht sein darf.

Schon im drögen Stuttgart reicht es seit dem schwarzen Donnerstag, wenn ich Uniformierte sehe oder erlebe, die sich aufgrund ihrer Uniform einbilden, andere Menschen schikanieren zu dürfen, dass mir das Messer in der Tasche aufgeht! (Liebe Polizei, das ist nicht wörtlich gemeint, sondern im übertragenen Sinn, wenn sie wissen, was ich meine.) In Hamburg wird es für mich eine große Herausforderung werden, angesichts der hochgerüsteten, aggressiven Staatsmacht und der im Vorfeld vorgeführten Ungerechtigkeit Ruhe zu bewahren. Dabei ist das genau der Grund, jetzt erst Recht auf die Straße zu gehen. Grundrechte sind nicht verhandelbar! Wer entscheidet, was als politisch, als politische Meinungsäußerung und damit als geschützte Versammlung gelten darf? Sicher nicht die Polizei, eigentlich auch nicht die Gerichte! … Hach, ich schreibe mich in Rage und kann gar nicht so viel essen, wie ich angesichts der Situation in Hamburg kotzen möchte!

Das blöde ist, dass die Strategie der Polizei und der Stadt so durchschaubar ist. Natürlich möchte man die Bilder kriegen, die erwartet werden – damit man dann nur umso brutaler tatsächlich und medial reinhauen kann. Wie blöd würden Polizei und Stadt dastehen, wenn eben das nicht passiert? Wenn Agents Provocateur ins leere laufen und es eben nicht die gewünschten Bilder gibt?

Das wird aber wahrscheinlich, nein, mit ziemlicher Sicherheit, aber irgendwie verständlicherweise, nicht passieren. Es wird die Bilder geben, die die Presse und die Politiker brauchen, um die Daumenschrauben noch weiter anzuziehen. Und man wird sagen: siehste, wir haben noch immer nicht hart genug durchgegriffen, oder: nur weil wir im Vorfeld so hart durchgegriffen haben, ist es nicht noch schlimmer geworden.

Und dann die Grünen und die SPD! Beide sind Regierungsparteien und unterstützen den neoliberalen Wahnsinn – gleichzeitig gehen sie auf eine Demonstration, um gegen G20 zu demonstrieren? Oder gegen was wurde vergangenen Sonntag demonstriert? Wie gestört muss man sein, um das im Kopf zu vereinbaren? Ich bin mir sicher, auf den Demos in den kommenden Tagen wird man keine Grünen-Fahne, keinen SPD-Wimpel sehen. Spielt nicht mit den Schmuddelkindern! Und genau das ist es, warum für mich beide Parteien absolut unzählbar sind.

Ich höre mal mit diesem Text auf, weil ich mich sonst gar nicht mehr beruhige. Ich meine nur, dass es Tausend gute Gründe gibt, nicht nur in Hamburg auf die Straße zu gehen. Wenn wir nicht mehr für unsere Rechte und unsere Vorstellungen eines guten Lebens kämpfen, was ist das Leben dann noch Wert? Ach so, ja, uns geht es ja gut, die Läden sind voll, ich kann Urlaub machen, was beschwere ich mich, das ist doch ein gutes Leben …

Jetzt ist aber gut! Die Schmuddelkinder rufen …

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Eine Antwort zu Hamburg, ich komme!

  1. Rainbow-Warrior Baden 21 schreibt:

    Kann dem Statement aus ganzem Herzen 100 % zustimmen. Danke.

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