Das konvivialistische Manifest

Den meisten Menschen ist wohl bewusst, dass die Maßlosigkeit in nahezu allen Bereichen des Lebens in der jetzigen Form so nicht weitergehen kann. Alles folgt der Logik des Höher, Schneller, Weiter. Wir brauchen immer mehr Platz. Autos werden größer statt kleiner und verbrauchen mehr statt weniger. Unser Energiebedarf wächst trotz immer sparsamere Verbraucher. Wir konsumieren – weil es so schön billig ist – ohne Rücksicht auf andere Leben, seien es Menschen in fernen Ländern, seien es Tiere in industriellen Ställen hier vor unseren Haustüren. Wir konsumieren ohne Rücksicht auf die Endlichkeit der Erde. Wir glauben an die Alternativlosigkeit, die uns die Politik vorgaukelt. Wir streben nach immer mehr von allem, auch wenn wir ahnen, dass dieses Mehr uns in keiner Weise glücklicher machen wird. Alle wissen das — und dennoch ändert sich erstaunlich wenig im Denken und Handeln der Menschen. Wir steigern diese Maßlosigkeit ins Maßlose und reizen sie aus bis zuletzt. Ein gutes Leben ist das sicher nicht!

Diese unsere westlichen Gesellschaften prägende Logik hat ihren Ursprung in zwei äußerst kritischen Entwicklungen: erstens im »Primat des utilitaristischen, also eigennutzorientierten Denkens und Handelns« und zweitens in der »Verabsolutierung des Glaubens an die selig machende Wirkung wirtschaftlichen Wachstums«. Der einzige gangbare Weg zur Überwindung dieser Fehlentwicklungen kann nur in Selbstbegrenzung bestehen, platt gesprochen: Shoppen nicht als Hobby, sondern nur zur Stillung  wirklicher Bedürfnisse. Oder, philosophisch: in der »Wiederherstellung des Primats des ›Seins‹ vor dem ›Haben‹« (Ivan Illich). Dies postuliert Frank Adloff, Professor für Soziologie an der Universität Erlangen, im Vorwort seiner Übersetzung des »Konvivialistischen Manifests«.

Das »Konvivialistische Manifest« hat den Untertitel »Für eine neue Kunst des Zusammenlebens« und ist eine Schrift, die von Umkehr und einer positiven Vision des Zusammenlebens spricht. »Die Besonderheit diese (…) Manifests besteht darin, dass sich eine große Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher politischer Überzeugungen auf einen Text einigen konnten, der in groben Zügen benennt, welche Fehlentwicklungen zeitgenössische Gesellschaften durchlaufen.« Die zumeist französischen Autoren stellen den identifizierten Fehlentwicklungen eine positive Vision des guten Lebens entgegen: »Es gehe zuallererst darum, auf die Qualität sozialer Beziehungen und der Beziehung zur Natur zu achten. Dazu wird der Begriff des Konvivialismus (con-vivere, lat.: zusammenleben) herangezogen.« Dabei ist »Konvivialismus« nichts neues, er wird bereits in zahlreichen Lebenszusammenhängen gelebt, so zum Beispiel in Familien oder in Freundeskreisen, in denen eben nicht die ökonomische Wachstumslogik oder die eigennutzorientierte Handlungslogik gilt.

Es geht dem Manifest also um die Überwindung der strukturellen Maßlosigkeit des Produktivismus der Moderne, die durch die Quasi-Religionen des Wirtschaftswachstums und des Utilitarismus zwangsläufig hervorgerufen wird. Wachstum und materieller Wohlstand dienen als Projektionsfläche für die Hoffnung auf ein besseres Leben – und wirken sich in ihrer maßlosen Überziehung gleichzeitig in nahezu allen Bereichen des Lebens negativ aus. Die Schwierigkeit besteht darin, dass »eine Gesellschaft, die vom Wachstum abhängig ist, (…) sich die Rücknahme des Wachstums nur als Katastrophe vorstellen« kann. Rücknahme des Wachstums heißt Selbstbegrenzung. Konkret: Reduktion der Arbeitszeit, Reduktion des Konsums, Reduktion der Konsumwünsche. Diese Selbstbegrenzung wird nicht als Möglichkeit verstanden, sondern als Notwendigkeit angesichts anstehender sozialer und ökologischer Krisen. Sie führt jedoch nicht zwangsläufig zu erzwungenem, erlittenen Verzicht, sondern erwächst aus einer anderen, notwendigen, aber auch dem guten Leben gerecht werdenden Moral.

Das Manifest erhebt schließlich drei Forderungen:

  1. Die Maßlosigkeit ist zu bekämpfen, also extremer Reichtum ebenso wie extreme Armut. Ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen und eine maximale Begrenzung von Einkommen sind einzuführen.
  2. Maximaler Pluralismus und maximale Gleichheit sollten zwischen den Nationen bestehen. Der Westen darf nicht länger als Hegemon auftreten, der im Rahmen von Entwicklungshilfe Geld, Technik, Waffen, Bildung, Demokratie, Literatur etc. anderen Ländern aufzwingt. »Eine wechselseitige Anerkennung kann es nur geben, wenn sich niemand zum alleinigen Geber aufschwingt, sondern sich die Positionen des Gebens und Nehmens gegenseitig abwechseln.«
  3. »Konvivialität braucht die Autonomie der Gesellschaft, die sich durch zivilgesellschaftliche Assoziationen realisiert.

Konkrete Handlungsanweisungen gibt das Manifest nicht. Es mit Leben zu füllen, obliegt letztlich jedem Einzelnen, denn nur so kann es zu einer wirklichen Umkehr oder Richtungsänderung kommen. Das Manifest trifft auch keine Aussagen darüber, wie mit Widerständen umzugehen ist, die es zwangsläufig geben wird. Die Machtkonfigurationen, die uns aktuell mit Brot und Spielen auf Linie halten, also die Kaste der Politiker, der Banker, der Medienoligarchen, der Superreichen, wird sich weder freiwillig selbstbegrenzen noch ohne Gegenwehr überhaupt begrenzen lassen.

Das Manifest dient also lediglich als Hintergrund, als grobe Zustandsbeschreibung und als bestimmter Hinweis darauf, dass es anders möglich ist. Vieles, was wir heute anprangern, sei es das rücksichtslose Durchdrücken von Stuttgart 21, seien es Waffenexporte in Krisenregionen, seien es die immer ähnlicher werdenden Parteien, die ihre Handlungsspielräume durch die Verengung auf unbedingtes Wirtschaftswachstum selbst maßgeblich einschränken, sei es die daraus folgende Alternativlosigkeit, die sich in der Politik und in der Demokratie als ganzes breit macht das alles lässt sich in dem größeren Rahmen, den das Manifest aufspannt, einordnen. Die Schlüsse, die aus dem Manifest gezogen werden, können hingegen durchaus unterschiedlich ausfallen. Über die Reichweite des Manifests, über Handlungsoptionen, die sich daraus ableiten lassen und über seine Grenzen sollten wir diskutieren. Klar bleibt: ein einfaches »Weiter so« ist keine Lösung.

Wer Interesse an dem Manifest hat, kann es im Buchhandel erwerben oder aber kostenlos unter www.diekonvivialisten.de herunterladen.

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7 Antworten zu Das konvivialistische Manifest

  1. Fred Heine schreibt:

    Zwuckelmann, bevor Du Dich aus Deinem Elfenbeinturm der Apokalypse stürzt, solltest Du Dich mal mit Leuten unterhalten, die Du nicht zu „den meisten“ zählst, die aber eine ganze Menge sind. Dein deprimierendes Weltbild ist ja unerträglich. Und dann dieses Manifest – verräterisch bis zum Dorthinaus: es „dient (…) lediglich als Hintergrund, als grobe Zustandsbeschreibung und als bestimmter Hinweis darauf, dass es anders möglich ist.“ Wie oft habe ich diesen teuflischen Satz in den vergangenen 30, 40 Jahren so oder so ähnlich gehört oder gelesen. Meist war dann nicht viel anderes möglich als millionenfache Unterdrückung oder sogar Massenmord. Wie heißt es so schön: „Hüte Dich vor denen, die die Welt verbessern wollen. Meist endet es mit Toten.“

    • zwuckelmann schreibt:

      Fred, bevor Sie dieses Manifest beurteilen, rate ich dazu, es einfach einmal zu lesen. Ihre Reaktion ist verfrüht und ihr plattes Urteil nicht fundiert …

      • Fred Heine schreibt:

        Lieber Zwuckelmann, für einen „echten“ 658er bin ich zwar wenige Jahre zu jung. Trotzdem habe ich die 1970er und 1980er intensiv durchlitten. Mich interessiert auch weniger das Manifest, das ich ohne nähere Kenntnis einfach mal in die Reihe der vielen anderen alternativen Lebensmodelle stelle, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Es ist Ihre Weltsicht, die mich so deprimiert. Besonders, weil ich sie vor 30 Jahren vielleicht auch noch geteilt hätte. Mein Urteil darüber basiert auf einem halben Jahrhundert Erfahrung – ganz so platt muss das alles also nicht sein.

      • Fred Heine schreibt:

        Es muss natürlich 68er heißen …

    • INNENSTADTBEWOHNER schreibt:

      In der Hoffnung an Fred, und dass er noch lebt…..

  2. Leselotte schreibt:

    13 Millionen Menschen in Deutschland können nicht aus dem ´Vollen´ schöpfen.
    Das gestrige heute-journal 22:00 Uhr brachte etwas über von „Armut Bedrohte“, eine Alleinerziehende aus Magdeburg mit 4 Kindern wurde vorgestellt, Christoph Butterwegge
    http://www.christophbutterwegge.de/
    durfte etwas beitragen – erstaunlich.

    http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2273644/ZDF-heute-journal-vom-31.-Oktober-2014#/beitrag/video/2273644/ZDF-heute-journal-vom-31.-Oktober-2014

    Ich frage mich, was im Busch ist.
    Na, zumindest wohl das:

    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/arbeitsmarktreform-das-ende-der-ein-euro-jobs-13239539.html

    Ein Singel mit weniger als 979€ gilt bei uns von Armut bedroht. Der H4-Satz für eine alleinstehende Person beträgt 391€ (wenn man einen Partner hat, steht einem weniger zu, 353€) + Miete, die in den seltensten Fällen voll übernommen wird, da die deffinierte Angemessenheit eben nicht angemessen ist…

    Ein bedingungsloses existenzsicherndes Grundeinkommen wie im ersten Punkt des Manifests gefordert, würde ich sehr begrüßen. Da Geld aus dem Nichts geschöpft wird, dürfte das auch praktisch umsetzbar sein.

    Passend auch das:

    (Über Bedürfnisdeckungs-, Bedarfsdeckungs und Bedarfsweckungsgesellschaft und einer Debatte, die unbedingt geführt werden sollte, 2 Minuten 14, veröffentlicht am 17.10.2014)

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