Stumpfs »volle Verantwortung«

Schnell war Siegfried Stumpf als damaliger Polizeipräsident dabei, die volle Verantwortung für den brutalen Polizeieinsatz am 30.09.2010 zu übernehmen. Eine politische Einflussnahme hat er immer bestritten – und war bis zuletzt seinem Dienstherren zu 100% loyal. Bis heute ein Beamter wie aus dem Bilderbuch.

Im Rahmen des Wasserwerferprozesses war Stumpf am 20. Verhandlungstag als Zeuge geladen. Doch er verweigerte die Aussage, weil gegen ihn in derselben Sache ermittelt wird. Eigenartig mutet an, dass die Ermittlungen gegen Stumpf erst durch eben diesen Prozess ins Rollen gebracht wurden. Dass die Staatsanwaltschaft so zügig die Ermittlungen gegen Stumpf aufgenommen hat, schützt ihn nun im Rahmen des Wasserwerferprozesses und gibt ihm das Recht, die Aussage zu verweigern. Angenommen, die Ermittlungen werden irgendwann eingestellt, führen also zu keiner Anzeige und zu keiner Verhandlung, hat Stumpf nie wirklich vor Gericht aussagen müssen. Man könnte vermuten, dass dies vielleicht doch auch ein wenig abgekartet ist … Der Beamte ist seinem Dienstherren gegenüber loyal, der Dienstherr kümmert sich im Gegenzug besonders um ihn, so lernt man’s in der Schule.

Statt einer persönlichen Aussage wurden daraufhin zwei Jahre alte Vernehmungsprotokolle verlesen bzw. es wurde der Staatsanwalt gehört, der Stumpf damals vernommen hatte. Der Bericht des Staatsanwalts wirft jedoch Fragen auf und lässt Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Stumpfs Aussagen aufkommen.

  • Stumpf war um 12 Uhr im Park und hatte das Gefühl, dass die Polizei alles im Griff hätte. Was haben aber seine Kollegen zu ihm gesagt? Haben diese ihm bestätigt, dass sie alles im Griff hätten? Oder hat Stumpf auf dem Feldherrenhügel mit niemandem gesprochen?
  • Auf dem Weg vom Park zur Pressekonferenz möchten die Einsatzleiter die Genehmigung haben, unmittelbaren Zwang anzuwenden, also Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer benutzen. Stumpf erteilt die Genehmigung. Sein Eindruck, den er wenige Minuten zuvor hatte, hat ihn also offenbar ziemlich getäuscht. Hat er sich da nicht gewundert? Hat er nicht genauer nachgefragt, warum die Bitte kam, wo doch alles in Butter schien? Sollte ein Einsatzleiter sich nicht ein umfassendes Bild über den Stand des Einsatzes machen? Oder reicht es aus, nach »Gefühl« zu gehen?
  • Stumpf hatte damit gerechnet, dass vor dem Einsatz der Wasserwerfer noch einmal nachgefragt würde. Aber: Er hatte doch bereits die Genehmigung für den Einsatz unmittelbaren Zwangs gegeben. Ist es üblich, dass man nach dieser Genehmigung nochmals nach der Erlaubnis nachfragt? Dies mutet doch für eine Polizei, die ja sehr hierarchisch aufgebaut ist und wo Befehle und Genehmigungen klar artikuliert werden, sehr eigenartig an.
  • Stumpf will jederzeit erreichbar gewesen sein. Dies ist aber offenbar widerlegt, denn während der Pressekonferenz hatte er sein Mobiltelefon ausgeschaltet.
  • Um 14:30 ist Stumpf wieder im Park und hat nur einen »wenig harten Einsatz« beobachtet. Verletzte habe er keine gesehen. Aber auch hier wieder: Hat er mit niemandem gesprochen? Macht sich der Einsatzleiter nur durch seine eigene Wahrnehmung ein Bild oder spricht er nicht mit seinen Untergegebenen? Vielleicht haben diese ihm tatsächlich nicht gesagt, dass es Verletzte gegeben habe. Aber: der Einsatz unmittelbaren Zwangs, den Stumpf erlaubt hat, muss doch zwangsläufig zu der Frage führen, ob dies zu Verletzten geführt hätte! Mit Sicherheit hat Stumpf sich die Situation vor den Wasserwerfern angesehen. Man muss keine besonders guten Augen gehabt haben, um zu sehen, wie Polizisten kräftig mit Pfefferspray hantiert haben und Schlagstöcke zum Einsatz kamen. Auch Stumpf muss gesehen haben, dass es kein »weniger harter Einsatz« war, sondern dass die Polizei brutal vorgegangen ist.

Meine Vermutung ist, dass Stumpf seinen Dienstherren genauso schützt, wie dieser ihn schützt. Wenn jemand Verantwortung für einen aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz übernimmt, bei dem mehrere Hundert (!) friedliche Menschen verletzt wurden, und dieser sich dann nicht zumindest bei diesen Verletzten entschuldigt, sieht es eher danach aus, dass die Verantwortung pro forma übernommen wurde. Ohne Entschuldigung bleibt die Übernahme der Verantwortung eine leere Floskel. Der Einsatzleiter Stumpf fühlt sich offenbar persönlich überhaupt nicht verantwortlich. Und genau dies nährt den Verdacht, dass Stumpf zwar die Verantwortung übernommen hat, sich de facto aber nicht verantwortlich fühlt. Wenn nicht er verantwortlich war, bleiben nicht mehr so viele andere Möglichkeiten übrig.

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3 Antworten zu Stumpfs »volle Verantwortung«

  1. Leselotte schreibt:

    Vielen Dank, lieber Zwuckelmann!

  2. Georg Warning schreibt:

    Solche verantwortungsvollen Polizeichefs scheint es noch mehr in Deutschland zu geben. Zum Beispiel der in Dessau, in dessen Wache Oury Jalloh verbrannt ist, wie die Staatsanwalt sagte, verbrannt wurde, wie Experimente eines unabhängigen Gutachters ergaben! Mehr dazu unter
    http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/jalloh-overath100_zc-a2551f81_zs-ae30b3e4.html
    Oben bleiben!

  3. Otto schreibt:

    Dieser Prozess wird, wie alle Unrechthandlungen aus der Politik und Bahn im Nirwana der S21 Mafia landen. der Prozess ist ein Schauspiel welches an die Farce der Schlichtung, der Volksabstimmung OHNE gültiges Quorum und die Milliarden-Kosten erinnert, die längst keinen Politiker mehr aus dem Stuhl hebelt. Wie auch – die hat sich selbst gerade eine fette Gehaltserhöhung von 400 auf 1600€ im Gemeinderat genehmigt – für eine Politik, der Stadt- Naturzerstörung und Mineralwasserschäden am Arsch vorbeigehen? Und dazu für eine 66km Tunnelbahn in bis zu 235m Tiefe – wer hier nicht erkennt, dass es sich um das dümmste Bahnprojekt aller Zeiten handelt, sollte zum Arzt gehen. – Aber die Menschen interessiert dies alles wenig, sie sind träge und können sich nur aufregen, wenn der Bauschutt auf ihrem Dorf gelagert werden soll, oder die Bahn streikt. Dann wird gemeckert und gemault, wie „Die in Stuttgart kriegen so einen tollen Bahnhof und wir sollen deren Dreck hier lagern“. Die Masse der Menschen interessiert Fussball und solange Lokführer zu Dumpinglöhnen fahren, die Shoppingcenter in der City geöffnet sind, ist in deren Welt alles in Ordnung. Deshalb können deutsche Politiker ihre eigene Weltmacht, egal ob mit Waffenlieferungen, Überwachungsmaut, Strom- u Wassermonopoli, Gigabauten und sonstige Milliardenverschwendungen betreiben, ohne das es ein paar wenige auf die Strasse treibt. Der Prozess wird enden wie alles um S21 – als Farce, am Ende ist keiner Schuld an diesem einen Schwerverletzten und diesen drei leicht Verletzen (sarc) und die Akte wird geschlossen während Kretschmann gerade irgendwo eine Tunneltaufe mit Sekt und Häppchen für S21 feiert.

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