Schweres Erbe – Zum Tod von Thomas Züfle

Nicht nur mir hat der 30.09.2010 den Respekt vor der Polizei genommen. Der brutale Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten hat Stuttgart und seine Bürger nachhaltig verändert. Dass der damalige Polizeipräsident Stumpf bis zu seinem Abtreten alle Verantwortung für diesen Einsatz auf sich genommen hat, stärkte weder sein eigenes noch das Ansehen der Polizei, denn zu offensichtlich war, dass er die Regierung Mappus schützte und dafür sogar seine Versetzung in Kauf nahm. Ganz im Gegenteil führte Stumpfs unverständliches Verhalten zu einem noch größeren Misstrauen der Polizei gegenüber.

In dieser Situation wurde Thomas Züfle Polizeipräsident und trat ein sehr schweres Erbe an. Ich kannte ihn nicht gut genug, um fundiert beurteilen zu können, was für ein Mensch er war. Aber er vermittelte mir den Eindruck, dass er wirklich interessiert war daran, zu verstehen, was in Stuttgart vor sich ging und was die Leute bis heute auf die Straße treibt.

Als ich mich vor vielen Monaten schriftlich bei ihm über das Vorgehen der Polizei Dienstags früh am Bauzaun beschwerte, rechnete ich eigentlich mit keiner Reaktion, höchsten mit einer Standardantwort, wie man sie von Ministerien und sonstigen Institutionen gewohnt ist. Doch Herr Züfle veranlasste nicht, dass man mir eine Standardantwort zuschickte, nein, er rief mich einfach direkt an, um mit mir über die Situation morgens am Bauzaun zu sprechen. Über eine Stunde haben wir telefoniert und er bot mir an, dass ich ihn gerne wieder anrufen dürfte.

Diese direkte, offene Art imponierte mir. Dadurch, dass er sich meiner Beschwerde, meiner Kritik direkt stellte, erwarb er sich meinen Respekt, auch wenn wir nach dem Telefonat in keiner Weise einer Meinung waren. Er gab mir das Gefühl, dass er ein ehrliches Interesse an unseren Belangen hatte, verstehen wollte, was uns umtreibt und gleichzeitig erklären wollte, warum die Polizei sich wie verhält. Hierzu passt gut, dass er am Samstag noch am Rande der Großdemo in Stuttgart gesehen wurde.

Der Einfluss der Polizeiführung auf die Streifen- und Bereitschaftspolizisten ist natürlich begrenzt und so ärgere ich mich selbst heute immer wieder über provozierende und herablassende Polizisten bei unseren Demonstrationen und darüber, dass uns frühmorgens am Bauzaun noch immer das Versammlungsrecht abgesprochen wird. Ich rede so gut wie nicht mehr mit Polizisten und begegne ihnen grundsätzlich sehr argwöhnisch. Zu wissen, dass es Herrn Züfle an der Spitze der Polizei gibt, gab mir dennoch ein beruhigendes Gefühl, dass das richtige Augenmaß bei der Stuttgarter Polizei so schnell nicht mehr verloren ginge und sich das Verhältnis vielleicht irgendwann einmal wieder normalisiere.

Mit seinem überraschenden Tod gerät diese Hoffnung, manchmal sogar Gewissheit ins Wanken.

Mein Mitgefühl gilt seiner Familie.

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11 Antworten zu Schweres Erbe – Zum Tod von Thomas Züfle

  1. martin mueller schreibt:

    Danke , auch war das mein Eindruck .

  2. Eddy schreibt:

    Ich verstehe, dass persönliche Kontakte meinungsprägend sind – aber sie sollten nicht den Blick das „Big Picture“ verklären.
    Züfle stand für embedded journalism, für GewahrsamsContainer auf dem Wasen, für Videoüberwachung, für Zivilpolizisten auf vielen Demos und für vieles mehr. Züfle machte seinen Job – eher mehr als weniger. Seine kommunikative Strategie war eine Strategie – so wie Ant-Konfliktteams und Kommunikatiobsteams ausgeklügelte, von Polizeipsychologen entwickelte Maßnahmen der Repression sind.Ich hoffe nicht, dass es auf der Montagsdemo eine Gedenkminute gibt – das wäre bei mehr als 4.000 polizeilichen Aktenvorgängen ein Schlag ins Gesicht der S21-Aktivisten !

    • zwuckelmann schreibt:

      Eddy, ich gebe Dir komplett Recht! Meinen persönlichen Respekt hat er sich durch unseren persönlichen Kontakt verdient. Vieles am Umgang mit der Bürgerbewegung bleibt dennoch überzogen. Jedoch: ich kann nicht beurteilen, in wie weit man auch als Polizeipräsident nicht doch auch Spielball von Politik und Justiz ist oder zumindest in diese Strukturen so eng eingebunden ist, dass Entscheidungen nicht von einem alleine abhängen. So ist die Überwachung zum Beispiel Folge des Rahmenbefehls der grün-roten Regierung. Die Hausdurchsuchungen und auch die Ermittlungen wegen versuchten Totschlags wird auch nicht er allein befohlen haben, sondern natürlich immer in Rücksprache mit oder auf Drängen der Justiz und Politik. Ich will nichts beschönigen, aber ihn trifft ganz sicher nicht die alleinige Verantwortung für das, was mit der Bürgerbewegung geschieht.

  3. u1man schreibt:

    Es ist selbstverständlich, dass wir den Angehörigen unser Mitgefühl aussprechen. Herr Züfle ist sicher ein Mensch gewesen, der das Beste aus seinem Amt machen wollte. Dennoch bleiben Erinnerungen, die auch nach dem 30.9.2010 zu Verbitterungen geführt haben und die in seiner Verantwortung lagen:
    http://www.bei-abriss-aufstand.de/2011/06/21/polizeipraesident-zufle-und-der-boeller/
    Ich schätze mal, dass hier noch keiner Gelegenheit hatte, etwas telefonisch zu klären.
    Das Mitgefühl mit seinen Angehörigen habe ich trotzdem.

  4. Ricarda Feldmann schreibt:

    Einen hässlicheren und offensichtlichen Zwischen-den-Zeilen-Zynismus wie den von Zwuckelmann liest und hört man selten. Gratulation!

  5. Beobachter schreibt:

    Ich konnte in Zwuckelmanns Artikel auch nichts Zynisches entdecken.
    Ich halte Zwuckelmann auf seine Art schon für ehrlich, wenn er oft auch hilflos ist, weil er gegen Fakten, welche ihm entgegen gehalten werden, einfach nichts erwidern kann und sich dann in seinen Glauben flüchten muss.

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