Fritz Kuhn spielt Rechtsstaat und Demokratie gegeneinander aus

Äußerungen werden nicht richtiger, je häufiger man sie wiederholt. Und dennoch berufen sich viele Politiker und die meisten OB-Kandidaten in Stuttgart auf diese Aussage und beten sie nach. Ob sie es nicht besser wissen oder absichtlich die Tatsachen etwas verdrehen, weiß ich nicht. Was ich aber weiß: Sie spielen Rechtsstaat und Demokratie gegeneinander aus und machen sich damit an einem dieser beiden Grundprinzipien unserer Gesellschaft schuldig.

Ansichten eines juristischen Laien mit durchschnittlichem Verstand

Fritz Kuhn schreibt: „Bekanntlich hat die Volksabstimmung im ganzen Land und sogar in Stuttgart selbst eine Mehrheit für den Bau des Tiefbahnhofs gebracht. Oder genauer: dafür, dass das Land nicht aus der Finanzierung aussteigt. Selbstverständlich ist diese Mehrheitsentscheidung zu respektieren.“

Sebastian Turner schreibt: „Ich bin ein Befürworter des neuen Durchgangsbahnhofs. Im Rahmen der Volksabstimmung hat auch in Stuttgart die Mehrheit der Bürger für das Infrastrukturprojekt gestimmt.“

Bettina Wilhelm schreibt: „S21 wird kommen und wer etwas anderes behauptet, täuscht sich und andere. Jetzt gilt es, das Projekt umzusetzen, die Chancen für die Stadt optimal zu nützen und die Risiken kritisch im Blick zu behalten.“

Soweit die Wahlprogramme. Die Gemeindeordnung indes besagt: „Der Bürgermeister muss Beschlüssen des Gemeinderats widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass sie gesetzwidrig sind; er kann widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass sie für die Gemeinde nachteilig sind.“ (GemO §43 Abs. 2, Satz 1)

Wenn Frau Wilhelm und Herr Turner als Verfechter von Stuttgart21 die Augen vor der Realität verschließen möchten und alle berechtigten Zweifel und Einwände gegen Stuttgart 21 ignorieren, so ist das zwar fahrlässig, aber zumindest schlüssig für sie als blinde Verfechter dieses Immobilienprojekts. Dass Fritz Kuhn jedoch eine (durchaus umstrittene) demokratische Entscheidung über geltendes Recht setzt, wirkt für mich sehr befremdlich. Wenn Kuhn Zweifel an der Finanzierung von S21 hat, wenn er Zweifel an der Leistungsfähigkeit von S21 hat, wenn er Zweifel an der Risikolosigkeit der Bauarbeiten für Grund- und Mineralwasser hat, ja, wenn er nur den leistesten Zweifel daran hat, dass S21 zum Schaden der Gemeinde Stuttgart ist, dann MUSS er eigentlich diese Punkte prüfen lassen – ganz unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung. Die Gemeindeordnung verpflichtet ihn dazu! Und als Vollblut- und Berufspolitiker sollte er das wissen.

Wenn Fritz Kuhn heute sagt, dass die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat ihn dazu zwingen würden, S21 zu akzeptieren, ist das eine faule Ausrede und schlichtweg gelogen. „Ist nach Ansicht des Bürgermeisters auch der neue Beschluss gesetzwidrig, muss er ihm erneut widersprechen und unverzüglich die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeiführen“, so die Gemeindeordnung weiter (GemO §43 Abs. 2, Satz 4). Das heißt, selbst wenn der Gemeinderat weiterhin S21 für zulässig und an seinen Beschlüssen fest hält, hat der Bürgermeister die Möglichkeit, nein, er hat die Pflicht, einzelne Punkte juristisch prüfen zu lassen.

Wie oben geschrieben bin ich kein Jurist. Es mag sein, dass die Beschlüsse des Gemeinderats zu Stuttgart 21 bereits zu lange vergangen sind, als dass dieser Paragraph Anwendung finden kann, aber dieser wichtige Grundsatz der Stellung des OB im Gemeinderat darf eigentlich nicht verjähren, vor allem, wenn es neue, triftige Hinweise dafür gibt, dass ein einmal gefasster Beschluss nicht zum Wohle der Stadt ist.

Es mag auch sein, dass es billig ist, eine derartige Entscheidung im Zweifel gerichtlich und nicht politisch klären zu lassen, aber die Gemeindeordnung verpflichtet den Oberbürgermeister dazu wortwörtlich. Und warum sollte nicht endlich einmal gerichtlich geklärt werden, ob der Bahnhof die Leistung hält, die die Bahn verspricht, oder ob die Verträge, wie sie damals geschlossen wurden, so wasserdicht und die Mischfinanzierung so astrein ist, wie uns immer vorgehalten wird?

Warum nur verhalten sich die Kandidaten der etablierten Parteien so … naiv? Warum erhält Hannes Rockenbauch keine befriedigende Antwort auf seine Einwürfe bezüglich dieses Paragraphen und der Möglichkeiten, die die Gemeindeordnung dem OB zugesteht? Immer ziehen sich die drei parteiunterstützten Kandidaten auf das Ergebnis der Volksabstimmung zurück, als wäre dieses umstritten zustande gekommene Votum unangreifbar und sakrosankt und würde unabhängig von Recht und Gesetz existieren. Gleichzeitig stellen sie Hannes Rockenbauch als Undemokraten dar, der das Ergebnis der Volksabstimmung nicht respektieren würde. Man könnte leicht den Verdacht bekommen, dass eben doch ganz andere Aspekte die alles entscheidende Rolle zumindest für die etablierten Parteien und deren Kandidaten spielen. Allein dieses undurchsichtige Spielchen und sein eigenartiges Rechts- und Demokratieverständnis machen es mir unmöglich, selbst einen Fritz Kuhn zu wählen.

Ich habe genug von Lobbyismus, Filz und Lügen! Am 7. Oktober wähle ich deshalb Hannes Rockenbauch.

Und auch das sei gleich klargestellt, weil heute eine Falschmeldung der dpa kursierte: Falls Hannes Rockenbauch nach dem ersten Wahlgang eine Wahlempfehlung für einen der drei anderen Kandidaten abgeben sollte, würde ich seiner Empfehlung nicht folgen können, da meine Bedenken den anderen drei Kandidaten gegenüber viel zu groß sind. Mir reicht es mit dem Filz der etablierten Parteien! Ich würde dann die „Gläserne Urne“ wählen.

Hannes kann es! Oben bleiben!

Wir vergessen nicht! Nie wieder Grün!

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3 Antworten zu Fritz Kuhn spielt Rechtsstaat und Demokratie gegeneinander aus

  1. dichtbert schreibt:

    Zustimmung! Und auch in einigen anderen Punkten macht Fritz Kuhn sehr absurde (widersprüchliche) Aussagen. Zum Beispiel zu den Kosten: Kuhn geht ja bekanntlich davon aus, dass der Bau von S21 mindestens 5-10 Mrd Euro kostet, was bedeuten würde, dass der Kostendeckel, der bei 4,53 Mrd liegt längst gerissen ist. Im fast selben Atemzug sagt er dann, er werde als OB auf die Einhaltung des Kostendeckels achten (Stichwort „kritisch begleiten“). Kann man die Menschen wirklich für so blöd halten? Die Grünen scheinbar schon. Im Übrigen könnte man das feige Versteckspiel hinter der 2/3 Mehrheit des Gemeinderats auch problemlos auf andere Punkte in Kuhn’s Wahlprogramm übertragen. Nehmen wir mal doch mal die Feinstaubproblematik, die im Grunde eine enge Kopplung an den Rosensteintunnel (mehr Autos) hat. Auch hier wird er dieselbe Mehrheit im Gemeinderat gegen sich haben, denn weder diese Stuttgarter SPD noch die FDP möchte weniger Autos in der Stadt haben und von der CDU brauch ich gar nicht erst anzufangen. Für mich ist Kuhn der Verlogenste aller Kandidaten und auch für mich gilt seit der sog. Volksabstimmung: Nie wieder Grün!

    • Felix Stutengarten schreibt:

      Dichtbert, hier stimme ich zu:
      Auch für mich ist Kuhn der verlogenste aller Kandidaten.
      Und für mich ist Rockenbauch der undemokratischste aller Kandidaten.
      Und Turner der fähigste, weitsichtigste und sympathischste aller Kandidaten.
      Also mir fällt die Wahl gar nicht schwer 😉

      • dichtbert schreibt:

        Rockenbauch „undemokratisch“? ROFL… ich schmeiss mich weg! Und so was schreibt jemand, der keine Probleme damit hat, wenn für sein Lieblingsprojekt Parlamente belogen werden. Oder wenn durch die Finanzierung gegen die Verfassung verstösst. Oder wenn die Bauherrin gegen geltende Gesetze & Vorschriften verstößt. Oder wenn millionenschwer Steuermittel für Manipulation der öffentlichen Meinung verpulvert wird. Ja, da haben Sie wohl absolut recht. Denn wenn man selbst mit der Demokratie auf dem Kriegsfuss steht, wirft man immer dasselbe gerne anderen vor. Btw. kennen sie die aktuellen Umfragewerte? Sieht für Ihren Berliner Bürger Oberbürgermeister nicht gut aus. Meine Prognose: So ein Nullapostel wie der Turner (insofern passt es ja, dass Sie ihm hinterherlaufen) wird niemals in Stuttgart OB werden. Ach und noch was: Haben Sie mitbekommen, dass nun selbst der Bahnhofstrog umgeplant werden muss? Die „tragende“ Grundgipsschicht darf nämlich nicht angebohrt werden. Diese Physikalischen Grenzen des Murksprojekts (Tragfähigkeit des Untergrunds) wird auch ein Turner nicht aushebeln können. Vor diesem Hintergrund bin ich mir sicher, dass folgendes gilt: „Weiterärgern, statt weiterbauen“ 🙂

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