Was folgt aus dem Gerichtsurteil?

Die Stuttgarter Polizei und Justiz hat, das konnten wir in den letzten Jahren immer und immer wieder erfahren, in weiten Teilen ein äußerst eigenwilliges Verhältnis zum Versammlungsrecht. Immer wieder wurden Bußgelder verhängt, Verfahren eingeleitet und Strafen ausgesprochen für Situationen, bei denen die Polizei eindeutig das Versammlungsrecht gebeugt hat. Denn auch „Verhinderungsblockaden“, wie die Polizei viele Blockadeaktionen genannt hat und meinte, dass damit keine Versammlung vorliegen könne, unterliegen grundsätzlich dem Versammlungsrecht, wenn sie darüber hinaus die Kriterien einer Versammlung erfüllen. Diese wiederholte Rechtsbeugung hat im Zusammenhang mit den Protesten gegen Stuttgart 21 eine traurige Tradition, die spätestens mit dem Schwarzen Donnerstag eingeläutet wurde – wie wir nun endlich höchstrichterlich bestätigt bekommen haben.

Fünf Jahre hat es gedauert, bis das Verwaltungsgericht ziemlich eindeutig, zügig und ohne jegliche Zweifel feststellte, dass der Polizeieinsatz im Schlossgarten am 30.09.2010 unrechtmäßig gewesen ist. Als Begründung wurde angeführt, dass damals im Schlossgarten natürlich eine Versammlung stattgefunden hätte, die dem Schutz des Versammlungsrechts unterlag. Die Versammlung hätte aufgelöst und den Versammlungsteilnehmern hätte ein neuer Versammlungsort zugewiesen werden müssen, bevor die bekannten polizeilichen „Zwangsmaßnahmen“ ergriffen und einige Hundert Menschen verletzt wurden. Die Versammlung wurde nicht aufgelöst, weil die Polizeiführung entschied, dass die Tausende von Menschen, die sich mit durchgestrichenen Stuttgart21-Schildern im Schlossgarten befanden und gegen die Fällung der ersten Bäume demonstrierten, keine Versammlung darstellten, sondern nur eine sogenannte Ansammlung. Selbst die anwesende Staatsanwaltschaft definierte die Versammlung in dieser Art um, um ohne Umschweife brutale polizeiliche Maßnahmen gegen friedliche Bürger einleiten und entsprechende Bilder produzieren zu können.

Fünf Jahre also, um dann kurz und knackig die Unrechtmäßigkeit festzustellen. Doch warum erst jetzt? Warum so spät? Natürlich ist es eine Genugtuung, dass die Unrechtmäßigkeit endlich festgestellt wurde. Aber was ist seither nicht alles geschehen! In welch anderem Licht hätten viele Ermittlungen, Verfahren und auch die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse gestanden, wäre dieses Urteil nicht erst so spät gekommen. Alle, alle Politiker, alle Medien, alle linientreuen, ja feigen Staatsanwälte und Richter gingen in diesen Jahren unumwunden davon aus, dass der Einsatz schon rechtmäßig gewesen wäre. Die einzigen, die wussten und schmerzhaft erfahren haben, dass ihnen Unrecht zugefügt wurde, waren die Demonstranten.

Dieses Urteil kommt nicht nur sehr spät, es kommt zu spät. Denn was folgt aus ihm? Viele Verfahren zum schwarzen Donnerstag sind inzwischen Geschichte, die Verantwortlichen schon lange nicht mehr im Amt. Viel zu lange konnte das Bild medial verfestigt werden, dass die Polizei schon richtig gehandelt hätte und die Demonstranten selbst Schuld gewesen seien. Natürlich ist es wichtig, dass die Verletzten nun Anspruch auf Schmerzensgeld haben – das sie hoffentlich nicht einklagen müssen, sondern das die Landesregierung hoffentlich von sich aus gewährt. Aber darüber hinaus wird dieses Urteil kaum mehr Folgen haben.

Ein weiterer bitterer Nachgeschmack bleibt – der vielleicht doch Folgen haben wird: Zu gut erinnern wir uns an Wölfles Tränen, an Kretschmanns Bestürzung damals im Schlossgarten. Wenig später dann an der Regierung war von Bestürzung nichts mehr zu spüren. Die grün-rote Landesregierung trägt Mitschuld daran, dass über fünf Jahre lang die Schlossgarten-Demonstranten verhöhnt wurden, ihnen die Schuld für ihre Verletzungen zugesprochen wurde und alles dafür getan wurde, sie ins Unrecht zu setzen. Anstatt den bestürzten Worten handfeste Taten folgen zu lassen, verschleppte die Regierung die rechtliche Klärung dieses Einsatzes. Aber das sind wir von dieser Regierung ja fast schon gewohnt, siehe zum Beispiel auch die Kennzeichnungspflicht bei Großeinsätzen, die die grün-rote Regierungskoalition wegen eben dieses Schwarzen Donnerstags in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. Auch hier ist sie in den vergangenen fünf Jahren untätig geblieben.

Oben bleiben!

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9 Antworten zu Was folgt aus dem Gerichtsurteil?

  1. Pingback: 18.11.2015 - "Schwarzer Donnerstag" der Polizeieinsatz war rechtswidrig

  2. Klaus schreibt:

    Lieber Zwuckelmann, leider stimme dich Dir zu.

    Es sollte trotzdem jetzt einige Rücktritte geben:
    zuvorderst Gall, Stickelberger, Kretschmann,, auch Wölfle und weitere.

    Darüberhinaus gibt es den Straftatbestand „Strafvereitelung im Amt“.
    Da gibt es auch Viele, die zu belangen sind.

    Meine Meinung ist das, natürlich, nur.

    Rechtsstaat, mahle.

  3. Kornelia schreibt:

    Zuerst einmal freue ich mich … für die Schwerverletzten… denn bislang sind sie mit Hilfe der Angehörigen und der K21 Bewegung die Verletzungen über stehen können! Sie könnten nun Hilfe auch von den ‚Tätern‘ bekommen!

    Und für ‚uns‘?
    Wenn der 30. ein Solitärereignis gewesen wäre, eine Demo, die seitens der Polizei kriminalisiert wurde, o.k. 5 Jahre später Rechtsprechung, naja……….nur
    Der 30. hat ein Lawine losgebrochen, die nicht mehr so einfach -wie menschen-verachtend Südpresse erträumt- Frieden stiften kann….. denn
    – monatelange friedliche, kreative Demos mit Kind und Kegel (von 0-99 Jahre plus Tiere) VOR dem 30. hatten gezeigt: „wir sind friedlich was seid ihr?“ (weltweite Presse/Marketing für Stuttgart!!!)
    und dann
    -die brachialen Gewaltausbrüche der Polizei, der Politik, der Wichtigs am und ab dem 30. und große Teile der Presse! Noch immer erschüttert es mich, dass absichtlich am Tag der angemeldeten, gewussten, Schülerdemo „Bildung statt S21“ der GewaltStaat sein Gesicht zeigte!!
    und dann
    – die Monate/ Jahre der PsychoGewaltspirale! Die unglaublichsten Tatkonstruktionen und -vorwürfe und dann Anzeigen und dann teure Rechtsstreitereien mit total kriminalisierenden Vorgängen (s. die terrorverdächtigen Wasser-Prozess Tage!)( auch die polizeiliche Bespitzelung Wagners…Kopfschütteln)
    und dann
    -die Presse, die sich als Schreibtischtäter über einen her gemacht, PR-angaben von Polizei, Bahn und co 1zu1 übernommen hat….während sie gleichzeitig „uns“ verbal in die Schmuddel- und Täterecke stellte!
    und dann
    – wurde ab 2011 der Bauwahn in dieser Stadt ausgerufen, ohne Rücksicht auf Kesselbewohner werden Anschläge auf deren Gesundheit billigend in Kauf genommen!!!
    und dann
    -wird am sogenannten Bahnhof gewerkelt was das Zeit hält, Genehmigungen „kreativ“ ausgelegt, Geldvermehrungsmaschinen angeschmissen, die PR Folter fortgesetzt (mind.3 000 000 Mio pro Jahr gibt Stadt, Land, Bahn, Region, Flughafen für Vollgesülze aus)
    und dann
    – müssen wir permante Störungen des Nahverkehrsbetriebs hinnehmen UND gleichzeitig zwangsweise Verteuerungen! Doch der Verbraucher ist seiner Rechte entmachtet!

    Und jetzt? Wird/soll einfach so getan werden als sei’s vorbei?
    Seitdem 30. weiss ich warum niemals so Frieden im Gaza hergestellt werden kann, seitdem sehe ich die Wutspirale Syrien, Guantánamo, Irak etc….
    Auch dort denken immer Kriegstreiber „plötzlich“: „so jetzt ist gut, seid friedlich!“

    Nee, nee Frieden kann man nicht erzwingen, wenn noch viele Kriegsbeile rumliegen!!!
    Vor dem 30. haben wir geschrien: wessen Polizei? unsere Polizei! Heute nichts mehr!
    Vor dem 30. hab ich jeden Tag mehrfach nett und freundlich mit den Polizisten gesprochen… Seit sie sich zu Kampfmaschinenngewandelt haben…kein Wort mehr!
    Vor dem 30. wäre ich einem Mensch Polizist zur Hilfe gekommen… Heute müsste ich arg mit mir ringen!

  4. Kornelia schreibt:

    Ich kann mich des Gefühle nicht erwehren:
    Demnächst istbWahl…da wird den grünen Wählern noch ein Häppchen gereicht
    Und
    Demnächst wird ja mit 200 000 Euro die Bürgervera… Rosenstein angeleitet…. Da sollen doch ganz besonders die Kritiker „eingebunden“ werden!
    Ich forderte das Aktionsbündnis auf, sich von diesen Pseudoveranstaltungen zu distanzieren!
    Da wird nur PR für die Kuhns, die Ingenhovens, die Kretschmänner, die Erlers und all die anderen gemacht!!! Da Ingenhoven schon „sein“ Areal eingefordert hat, da schon die sogenannten Halbhöhenarchitekten jetzt(!) in den Stadt Löchern stehen…. und da
    2020 die Schuldenbremse eintritt….. Vergesst es! Oder lasst Euch wenigstens genauso gut bezahlen wie all die Offiziellen!
    Ich werde garantiert NICHT meine Zeit dort vergeuden!
    Da gehe ich lieber zu spannenden K21 Veranstaltungen!
    30.11.2015: Cappella und die Lokomotive feiern ihren 5. Geburtstag!!! ( „boah, sind die gewachsen!“)
    7.12.2015…. 300.Montagsdemonstration! !!!!!!!!!!!!!!!! 300 und noch viel viel mehr Demos die letzten 15 Jahre auf die Beine gestellt!!! Wahnsinn!!!!!!!!
    8.12.2015, 19:30 Uhr Esslingen–aus dem Alltag der Beobachter news mit Alfred Denzinger

  5. u1man schreibt:

    Ich bin für eine klare Trennung der Aktionsformen. Eine Versammlung muss von einer Aktion, welcher Art sie auch immer sei, klar unterscheidbar und trennbar sein. Man darf Versammlungen nicht für etwas anderes benutzen. Das Recht schützt zwar die Versammlung, aber nicht automatisch diejenigen, die die Versammlung umfunktionieren. Auf einer Demonstration zeigt man sein Gesicht. Wer zB zivilen Ungehorsam ausübt, soll genauso Verantwortung übernehmen. Die Vermischung von beiden Protestformen hilft keinem.

    • zwuckelmann schreibt:

      Die Protestformen innerhalb und im Rahmen einer Versammlung sind in diesem Zusammenhang doch belanglos – sobald es sich um eine Versammlung handelt (die friedlich ist, von der keine Gefahr ausgeht etc.), muss die Polizei diese Versammlung erst rechtmäßig auflösen, bevor irgendwelche polizeilichen Maßnahmen erfolgen dürfen. Sie darf die Versammlung eigentlich nicht einmal betreten, filmen erst recht nicht. Das ist der Inhalt des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit – und dieses ist von der Polizei am schwarzen Donnerstag gebrochen worden. Was hier vermischt worden sein soll, erschließt sich mir nicht.

    • u1man schreibt:

      Dass es nicht belanglos ist, ob innerhalb einer Versammlung zB. systematisch blockiert wird, mit der Absicht zu blockieren, geht insofern aus einem höchstrichterlichen Urteil hervor, indem dort ganz klar unterschieden wird. Es heisst dann sinngemäß, dass im Zweifel für eine Versammlung entschieden werden muss, wenn beide Elemente gleichzeitig erkennbar sind, die einer Versammlung und die von etwas anderem zB. von einer Verhinderungsblockade. Somit geht es um eine Mischform, bei der diejenigen, die sich nicht im Sinne einer Versammlung verhalten (zB. Provokateure) die Versammlung nicht automatisch torpedieren können sollen.
      Dass der Verfasser des Kommentars hier die Ununterscheidbarkeit manifestieren möchte, geht aus seinem speziell grammatisch kunstvollen Satz hervor: „Denn auch “Verhinderungsblockaden”, wie die Polizei viele Blockadeaktionen genannt hat und meinte, dass damit keine Versammlung vorliegen könne, unterliegen grundsätzlich dem Versammlungsrecht, wenn sie darüber hinaus die Kriterien einer Versammlung erfüllen.“ Im Grunde genommen sind in diesem Satz zwei ganz unterschiedliche Aussagen enthalten. Nein Verhinderungsblockaden (wenn sie im Ganzen solche sind) sind keine Versammlungen. Dieser zitierte Verquickungssatz ist leider in sich falsch. Auf der Basis solcher Sätze kann man im Prinzip nicht diskutieren. Ich hab’s trotzdem probiert.

      • zwuckelmann schreibt:

        Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was Dein Problem ist. Wie hat sich denn Deiner Meinung nach der 30.09. dargestellt? War es eine Versammlung? Eine „Verhinderungsblockade“ oder … Mir ist einfach nicht klar, worauf Du hinaus willst.

      • u1man schreibt:

        Der 30.9. muss, weil es eine Mischform ist, als Versammlung angesehen werden. Politisch ist für die s21 -Gegner damit aber nichts erreicht. Man diskutiert dann eben nur noch über den Erhalt des Versammlungsrechts. Die jeweilige Aktionsform verliert aber ihre Wirkung. Der zivile Ungehorsam beim Blockieren kann seine Wirkung nicht entfalten, wenn er als Versammlung anerkannt werden will. Es ist Trickserei und es wird von denen, die wir erreichen wollen, durchschaut.

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