Rede von der Laufdemo am 9.2.2013

Da ich wiederholt nach der Rede vom 9.2.2013 gefragt wurde, hier die Rede im Wortlaut:

„Hallo Ihr lieben Aktiven gegen Stuttgart21! Ich spreche hier zu Euch im Namen der Blockadegruppe der Parkschützer.

Wie ihr wisst, jährt sich in wenigen Tagen die Räumung des Schlossgartens. In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar wurde uns der Schlossgarten genommen und mit ihm viele schöne alte Bäume. Wir wissen alle, was bis heute dort passiert ist – ein Blick hinüber genügt. Die Fällung der Bäume war – das ist heute jedem klar – vollkommen unnötig und eine reine Machtdemonstration! Wir werden das den Verantwortlichen niemals vergessen!

Dass bisher dort auf der Brache nichts passiert ist, erscheint umso tragischer vor dem Hintergrund der gerade laufenden Diskussion um Kostensteigerung und sogar Ausstieg aus Stuttgart21. Wir alle freuen uns über die Nachrichten der letzten Tage. Auch der Bund scheint nun endlich einzulenken und Stuttgart21 zumindest kritisch zu begleiten. Ramsauer rudert heftig vor und zurück, von Merkel hört man so gut wie nichts. Sie bespricht sich wohl noch mit ihren Wahlkampfstrategen. Selbst die Bundes-FDP nimmt hinter vorgehaltener Hand das Wort „Ausstieg“ in den Mund.

Doch können wir davon ausgehen, dass Stuttgart21 innerhalb der nächsten Wochen oder Monate gestoppt wird?

Ich erinnere daran: Wie oft dachten wir, dass wir ganz nah dran wären an diesem Punkt – und wie oft wurden wir bitter enttäuscht!

  • Es gab mehrere gerichtlich verhängte Baustopps und immer dachten wir, jetzt wird es glücken. Das nächste Gerichtsurteil würde bestimmt zu unseren Gunsten ausfallen. Doch leider täuschten wir uns.
  • Es gab die Schlichtung, und wir dachten, dass die besseren Argumente siegen würden. Doch der einzige, die siegte, war Heiner Geißler, der mit seinem unsäglichen Schlichterspruch uns in den Rücken fiel.
  • Es gab zahlreiche Gutachten, die lückenlos belegen, dass Stuttgart21 niemals das leisten würde, was versprochen wurde. Doch auch diese Gutachten änderten nichts am Beharrungsvermögen der Projektverantwortlichen.
  • Und schließlich haben viele – auch ich – große Hoffnungen in eine grüne Landesregierung gelegt. Doch auch hier wurden und werden wir nahezu täglich bitter enttäuscht.

Was muss eigentlich noch alles passieren, damit endlich die Vernunft siegt? Es war und ist fast zum Verzweifeln!

Ich persönlich traue der aktuellen Diskussion um Kostensteigerung und Ausstieg nicht. Stuttgart21 ist angezählt, das stimmt wohl. Aber wir dürfen die Kräfte, die hinter diesem Projekt stehen, nicht unterschätzen. Denn Kosten der einen bedeuten gleichzeitig immer auch Gewinne der anderen! Je höher die Kosten der einen, desto höher die Gewinne der anderen! An Stuttgart21 verdienen direkt oder indirekt so viele Unternehmen so prächtig und es gibt so viel Gesicht zu verlieren, dass wir bei aller Euphorie die Beharrungskräfte nicht unterschätzen sollten!

Ich glaube erst an einen Ausstieg, wenn er offiziell beschlossen ist! Erst dann werde ich mich zu Hause hinsetzen und meinen Alltag neu sortieren. Bis dahin aber werde ich auch in den kommenden Wochen und Monaten mein möglichstes tun, um den Weiterbau zu stören.

Leider – und diese Spitze sei mir erlaubt – ist es uns bisher so gut wie nicht möglich gewesen, als Blockadegruppe auf der Montagsdemo etwas mehr Redezeit zu ergattern. Parteipolitiker und sonstige Größen des Widerstands sind eben oft auch bei uns wichtiger als das demonstrierende Fußvolk. Deshalb bedanken wir uns explizit bei den Organisatoren dieser Demo, dass wir hier die Kundgebung eröffnen dürfen.

„Blockadegruppe“ klingt immer so nach Untergrund, nach Halb-legal oder nach Straftat. Die Scheu des Aktionsbündnisses, uns auf Montagsdemos reden zu lassen, hat genau mit diesem anrüchigen Aspekt zu tun. Dabei sind wir in der Blockadegruppe alles ganz normale Menschen. Menschen wie du und ich.

Was uns vielleicht etwas unterscheidet, sind zwei Punkte: Wir sind besonders unruhig und wir sind in gewisser Weise verrückt.

  1. Wir sind unruhig, weil wir nicht einfach zu Hause sitzen können mit dem Wissen, dass dieses Projekt weiter und weiter getrieben wird. Wir müssen aus tiefster Überzeugung etwas ganz praktisches tun! Und wie anders als mit unserem Körper, mit unserer reinen körperlichen Existenz, sollten wir diesen Drang stillen! Wir glauben nicht daran, dass allein vom Schreibtisch aus dieses Projekt zu kippen ist. Wir sind fest davon überzeugt, dass es alles braucht: die klugen Briefe, die fundierten Gutachten, die politischen Gespräche – aber eben auch und vor allem den Druck von der Straße.
  2. Wir sind verrückt, weil wir ein besonders großes, vielleicht fast schon verrücktes Gerechtigkeitsempfinden haben! Jeder aus der Gruppe, den ich kenne, wägt ständig und bei all seinem Tun sehr genau ab zwischen geltendem Recht und moralischem Recht. Wenn jetzt sogar der Bund die Gesamtfinanzierung von Stuttgart21 in Frage stellt, wie kann es dann sein, dass die Firma Hölscher munter-lustig weiter ihre Rohre verlegt und Bäume fällt? Sichtbar hier hinter den Arkaden des Bahnhofs, viel schlimmer aber noch mitten im Rosensteinpark! Wenn die Finanzierung nicht gesichert ist, darf doch nicht einfach so weitergebaut werden! Das widerspricht fundamental unserem Rechtsempfinden – selbst wenn die Firma ein formales Baurecht haben mag. Deshalb stellen wir uns dem Weiterbau in den Weg.

Wir wissen es alle: Stuttgart21 ist in Hinterzimmern entstanden und wurde auf Basis geschönter Zahlen und Unterlagen, also auf Basis von Lügen durch die Parlamente gepeitscht. Es dient nicht dem Allgemeinwohl, sondern einzig den Interessen einiger weniger Unternehmen und Politiker. Wir sind davon überzeugt, dass wir das moralische Recht, wenn nicht gar die Pflicht haben, diese Bauarbeiten zu stören, um immer und immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass das, was hier jeden Tag passiert, Unrecht ist. Es darf keine Bauroutine bei diesem Projekt geben!

Wir üben Zivilen Ungehorsam, um auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen. Dafür nehmen wir bewusst auch Strafen in Kauf. Unsere moralischen Überzeugungen sind oft nicht deckungsgleich mit der Rechtssprechung hier in Stuttgart. Doch wie ernst können wir die Rechtssprechung unter Oberstaatsanwalt Häußler überhaupt noch nehmen?

Wir glauben nicht, dass wir mit unseren Blockadeaktionen das Projekt sonderlich behindern oder gar zum Stillstand bringen könnten – das wäre vermessen und ist absolut unrealistisch. Aber wir wollen unbequem sein und ein Zeichen setzen! Wir wollen ein Sandkorn und nicht ein Tropfen Öl im Getriebe dieses Projekts sein!

Und das gelingt uns ganz gut! Unsere Aktionen, aktuell die Dienstagsfrühstücke am Bauzaun oder auch die sogenannten „Großblockaden“ der Vergangenheit wurden und werden von den Projektbeteiligten bewiesenermaßen wahrgenommen. Wir sind lästig. Wir pieksen die Verantwortlichen. Wir sind die Erbse unter Grubes und Merkels Matratze. Wir stören den geschmeidigen Verlauf des Projekts. Seit Jahren nun versuchen sie, uns von den Bautoren wegzubekommen. Bisher und trotz aller Kriminalisierung ohne Erfolg!

Für jeden, der sich überlegt, vielleicht doch auch einmal mit uns im Weg zu stehen, ist wichtig zu wissen: Es gibt bei unseren Aktionen immer die Möglichkeit, „ungeschoren“, also ohne Anzeige, Platzverweis oder ähnliches davon zu kommen. Man muss sich nicht von der Polizei wegtragen lassen. Niemand muss sich vor LKW stellen. Jeder kann so weit gehen, wie er will. Es ist aber alleine schon ein wichtiges Zeichen, wenn wir viele Menschen sind, die dort am Bautor stehen. Denn je mehr Sandkörner wir im Getriebe sind, desto mehr knirscht es!

Glaubt denn irgendjemand, dass die aktuelle, existenzielle Kritik an Stuttgart21 so laut geworden wäre, wenn wir nicht unentwegt und unbeeindruckt bis heute massenhaft auf die Straße gegangen wären? Ganz sicher nicht! Stuttgart21 wäre spätestens in 15 Jahren das nächste finanzielle und technische Großdesaster nach Elbphilharmonie und Berliner Flughafen. Verantwortliche würde man auch bei Stuttgart21 nicht finden. Und genau deshalb müssen wir mit unseren Aktionen und Demonstrationen unbedingt weitermachen!

Der Druck auf alle Projektbetreiber und Politiker muss gerade jetzt weiter erhöht werden mit klaren Forderungen.

  • Wir fordern einen sofortigen Baustopp und Projektabbruch.
  • Wir fordern eine neue Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs für den bestehenden Kopfbahnhof.
  • Wir fordern die Entlassung oder zumindest die Versetzung von Oberstaatsanwalt Häußler und Amnestie für alle verurteilten S-21-Gegnerinnen und -Gegner.
  • Wir fordern ein Ende jeder weiteren Kriminalisierung.

Wir laden alle Interessierten dazu ein, mit uns Dienstags morgens ab 6:30 Uhr am ehemaligen Nordflügel an ungewöhnlichem Ort zu frühstücken.

Am 14. Februar bei der Veranstaltung im Schlossgarten werden wir vor Ort sein.

Auch lässt sich zu jeder Tageszeit hervorragend im Rosensteinpark spazieren gehen. Niemandem kann verboten werden, genau dort zu spazieren, wo gerade Rohre verlegt werden sollen.

Traut Euch mehr zu, als auf Demos zu gehen oder Leserbriefe zu schreiben (so wichtig beides auch ist)! Unterstützt uns bei unserem Leitspruch: Baustopp selber machen!

Nur wenn wir geschlossen und zahlreich weiterhin auf die Straße gehen und gegen dieses Unsinnsprojekt protestieren, haben wir gute Chancen, dass Stuttgart21 kippt.

Oben bleiben!“

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2 Antworten zu Rede von der Laufdemo am 9.2.2013

  1. Uwe Lober schreibt:

    Meinen größten Respekt.

  2. Ihr werter Guller schreibt:

    Mutig, Gut gemacht Zwuckelmann !

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