8.7.2012 Hat das alles überhaupt noch einen Sinn? Ja, es hat! #s21 #occupy

Kämpfen wir in Stuttgart auf verlorenem Posten? Werden wir überhaupt noch wahrgenommen? Hat es überhaupt noch irgendeinen Sinn, allmontäglich und jetzt zum 130. Mal auf die Straße zu gehen? Was könnnen wir schon ausrichten? Gebaut wird so oder so, unsere Argumente werden nicht ernst genommen – und wir alle wissen, wie das Spiel weitergehen wird. Was soll’s also?

Diese Fragen beschäftigen heute einen großen Teil unserer Protestbewegung. Viele Aktive sind nach der Volksabstimmung abgesprungen, haben sich ins Private zurückgezogen und beobachten aus der Ferne, was sich hier tut. Die Stuttgarter Medien ignorieren uns in gewohnter Manier. Der Stuttgarter Politik sind wir auch unter Grüner Regierung lästig, die Schmuddelkinder, die man meidet. Die Polizei zieht weiter und weiter die Daumenschrauben an, um die standhaften Aktiven, die weiterhin zivilen Ungehorsam üben, über den Geldbeutel entgültig zu vertreiben. Ganz zu schweigen von der Stuttgarter Justiz, die noch immer hart und überzogen jegliche Möglichkeiten nutzt, Aktivisten zu verurteilen.

Manchmal könnte man bei all dem verzweifeln und dem Impuls folgen, die Flinte ins Korn zu werfen. Sollen sie doch ihren Murks bauen! Ich kümmere mich zukünftig nur noch um mich, lebe meinen Alltag wie früher vor dem allen – dabei muss ich mir doch eingestehen, dass ich meine Augen gar nicht mehr verschließen kann vor diesen für nicht möglich gehaltenen Vorgängen rund um Stuttgart21, nicht einfach wegsehen und so tun kann, als würde mich das alles nichts mehr angehen. Aber versuchen könnte ich es ja mal.

Doch stehen wir wirklich auf verlorenem Posten? Werden wir wirklich nicht beachtet? Sind wir wirklich nur ein paar tausend Spinner in der schwäbischen Provinz? Können wir wirklich nichts mehr bewirken?

In den letzten Wochen habe ich viel theoretischen Kram gelesen, habe mich in Bücher zur Finanzmarktkrise gebohrt, in soziologische und politische Schriften verbissen, um meinen Protest, meine Unzufriedenheit mit dem Status quo zu fundieren, zu unterfüttern und auf breitere Füße zu stellen. Und siehe da, Stuttgart21 wird in nahezu allen Schriften (auch internationalen!) als ein Kristalisationspunkt der aktuellen Krise identifiziert, wird in einem Atemzug mit Demokratiebewegungen genannt, ist ein konkretes Beispiel dafür, dass sich Bürger emanzipieren und Transparenz, Demokratie und Mitbestimmung fordern. Denn in Stuttgart21 kristallisiert sich die weit fortgeschrittene Entfremdung von Politikern und Bürgern, es manifestiert sich in diesem Protest die Vorherrschaft wirtschaftlicher und partikularer vor sozialen und Bürgerinteressen, es bricht sich die Empörung über die Ignoranz und Verantwortungslosigkeit der uns regierenden Politiker Bahn.

Wir stehen am Anfang eines gesellschaftspolitischen Umbruchs! Alle, wirklich alle wissen, dass es so nicht weiter gehen kann, weder in Deutschland noch in Europa noch in der Welt. Und auch wenn es aktuell ruhiger um die Occupy-Bewegung geworden ist, ist jedem klar, dass sie nicht verschwunden ist, dass hier nicht das letzte Wort gesprochen ist. Und wir sind mit unserem Protest vorne dabei! Natürlich ist unser primäres Ziel, Stuttgart21 zu beerdigen – darüber hinaus zielt unser Protest schon immer weiter, zielt auf die Wurzeln dieses unsäglichen Projekts, klagt die Vorgehensweise an, wie es überhaupt soweit kommen konnte, wie ohne Bürgerbeteiligung, mit auf Lügen basierenden Parlamentsbeschlüssen und rein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und egoistischen Überlegungen einiger weniger Politiker die Interessen der Bürger ignoriert wurden und auch unter Grün-Roter Regierung weiterhin werden! Da hilft auch keine vermurkste, hingebogene Volksabstimmung, die über brüchige Krücken im Nachhinein versucht, zu legitimieren, was nicht mehr zu legitimieren ist. In unserem Protest gegen Stuttgart21 manifestiert sich natürlich die Forderung nach mehr Demokratie, nach Transparenz und Wahrheit, nach einer grundsätzlich neuen Setzung von gesellschaftspolitischen Prioritäten weg von rein neoliberalen Entscheidungskriterien hin (oder zurück!) zu bürgerlichen, sozialen und gerechten!

Unser Protest wird wahrgenommen, da bin ich mir sicher! Politiker aller Ebenen schauen mit Argusaugen auf uns und unseren lautstarken Protest; Wissenschaftler und Theoretiker schauen interessiert, was hier noch immer vor sich geht; Lobbiisten und Wirtschaftsvertreter beäugen unzufrieden, dass es uns noch immer gibt; und auch andere Bürgerbewegungen nehmen erstaunt wahr, mit welcher Kraft und Ausdauer so viele Bürger hier in Stuttgart auf die Straße gehen. Nur die Medien schauen weg und beschneiden dadurch selbst ihre eigene aufklärerische Macht.

Deshalb müssen wir mit unserem Protest, unserem Widerstand unbedingt weitermachen, müssen diese kleine Flamme der Vernunft am Leben erhalten, müssen mit den Montagsdemonstrationen zeigen, dass wir trotz allem und noch immer und auch immer wieder mindestens 121 gute Gründe haben, gegen Stuttgart21 auf die Straße zu gehen! Wir lassen uns unseren kritischen Geist und unsere Vernunft nicht zerreden!

Oben bleiben!

P.S. Anbei ein lesenswerter Essay, der einen guten, komprimierten Überblick über die aus den Fugen geratenen Zusammenhänge von Politik, Demokratie und Wirtschaft gibt und der zeigt, dass Stuttgart21 durchaus mit der aktuellen Krise zu tun hat. Von Günther Lachmann, Chefreporter der Welt, für die Quandt-Stiftung … trotzdem ganz ausgezeichnet! 😉

http://www.herbert-quandt-stiftung.de/files/publikationen/gzz/gzz_21_schafft_…

 

Dieser Beitrag wurde unter Stuttgart21 abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

23 Antworten zu 8.7.2012 Hat das alles überhaupt noch einen Sinn? Ja, es hat! #s21 #occupy

  1. oberbayer schreibt:

    d´accord, Geld wirkt. Aber nur begrenzt. Meine Erfahrung mit den schwäbischen Freunden: Es gab welche, die waren irgendwie am S21 Problem interessiert und dann auch über beide Seiten informiert. Da greift Ihr Vorwurf nicht („gekauft“).Andere hatten nur was gehört („die spinnen alle“). Die sind dann auch nicht zur Wahl („was soll der Quatsch“).Wer also ging, war auch überwiegend informiert. Und: Wenn einer nur deshalb für S21 stimmt, damit jetzt Ruhe ist, ist das immer noch ein mündiger Bürger. Bei S21 wars wohl kaum der spin doctor….

  2. Herrmann schreibt:

    Kritik an den Montagsdemonstrationen wird also in wenigen Minuten gelöscht, das lässt tief blicken. Die Gegenbewegung zu Stuttgart 21 ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten. Ihr seid alles engstirnige Nervtöter, die dringend an ihrer Kritikfähigkeit arbeiten sollten.

  3. Zwuckelmann schreibt:

    @Herrmann: hier wird nichts gelöscht! Wenn Sie es nicht schaffen, einen Kommentar zu posten, liegt das vor allem an Ihren Fähigkeiten

Kommentare sind geschlossen.