„Der lange Schatten von #s21 “ Zusammenfassung der Veranstaltung vom 11.01.2012

Am 11. Januar fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Der lange Schatten von Stuttgart21 – Wie viel Presse- und Meinungsfreiheit darf es sein?“ im Gewerkschaftshaus statt. Der große Saal des Gewerkschaftshauses war prall gefüllt, was dafür spricht, dass viele Stuttgarter Bürger das Gefühl haben, dass es nicht zum besten bestellt ist mit der Pressefreiheit – zumindest in Stuttgart.

Den Anfang machte Peter Grohmann, als Anstifter (www.die-anstifter.de) und Kabarettist ein Stuttgarter Urgestein in Sachen Bürgerengagement und Einmischung. Er formulierte das Thema des Abends, indem er darauf aufmerksam machte, dass es keinerlei Aufschrei der etablierten Medien gegeben habe, als die Stadt Stuttgart das allgemeine Betretungsverbot für den Stuttgarter Schlossgarten ankündigte und auch nicht, als die Polizeiführung nur ausgewählte Journalisten aus der Landespressekonferenz, einem privaten Verein und Berufsverband, für die Berichterstattung auch hinter den Polizeiabsperrungen zulassen wollte. Pressefreiheit ist also immer zweifach gefährdet: von den einen, die sie einschränken wollen, und auch von den anderen, die sie und sich einschränken lassen. Grohmanns Fazit: Wir sind ein demokratischer Rechtsstaat und tragen schwer an dieser Bürde und seinen Diskussionen.“

Nach dieser Einleitung stellten drei Rechtanwälte aktuelle Fälle vor, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt wurde. Stefanie Brum vertritt den Umkehrbar e.V. Diesem wurde auf Antrag von Dieter Hundt, dem Vorsitzenden der Arbeitergebervereinigung, eine Einstweilige Verfügung zugestellt, dass der Sittler-Spot, der vor der Volksabstimmung für ein Ja werben wollte, nicht mehr gezeigt werden dürfe. Das Gericht setzte den Streitwert auf 50.000 Euro fest. Urheberrecht stand hier gegen Zitatfreiheit. Mit Pressefreiheit hat dieser Fall insofern zu tun, weil durch die Höhe des Streitwerts eine gerichtliche Klärung sehr teuer geworden wäre und weil das Gericht den Eilantrag des Arbeitsgeberpräsidenten ohne Hören der Gegenseite einfach durchgewunken hat. Letztlich einigte man sich außergerichtlich – nach der Volksabstimmung.

Daraufhin berichtete Kristian Frank von den Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Mitgliedern von Cams21. Obwohl Cams21 ein journalistisches Angebot liefert und damit grundsätzlich besonders geschützt ist, hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart diesen Schutz ausgehebelt, indem behauptet wurde, dass die Mitglieder von Cams21 des schweren Landfriedensbruchs am 20.06. tatverdächtig wären. Dabei gibt es keinerlei Beweise, dass dem so wäre, der Staatsanwaltschaft reichte aus, dass Cams21 aus dem Baustellengelände berichtete, als der Zaun bereits gefallen war. Dem SWR wurde übrigens an diesem Tag der Schutz der Presse zugestanden. Das Verfahren ist noch offen.

Schließlich berichtete der Rechtsanwalt Martin Heiming von drei Pressefotografen, die trotz Presseausweis nach der 39. Montagsdemo bei der Besetzung des Nordflügels in Gewahrsam genommen wurden und wegen Hausfriedensbruchs angezeigt wurden. Begründung der Staatsanwaltschaft war, dass Hausfriedensbruch auch von Journalisten nicht begangen werden darf. Die Bahn stellte einen pauschalen Strafantrag gegen alle Personen, die sich im Nordflügel aufhielten, also auch gegen die Pressefotografen. Sie hat aber, nachdem ein erster Verhandlungstag vom Richter abgebrochen wurde, den Strafantrag zurückgezogen, so dass der Fall für die Justiz erledigt war. Herr Heiming schloss seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass gerade in den arabischen Ländern ganz selbstverständlich sich das Recht auf Öffentlichkeit und auf Berichterstattung genommen wird, während wir uns in Deutschland das Recht auf Pressefreiheit nicht einfach nehmen, sondern beklagen, dass „wir das doch dürfen müssen“.

Daraufhin wurde die Podiumsdiskussion eröffnet und es kamen Walter Sittler, Uli Röhm (ZDF-Reporter) Renate Angstmann-Koch (DJU) hinzu. Schnell kam das Thema auf „embedded journalism“, also die Vorgehensweise, nur ausgewählte Journalisten zu bestimmten Ereignissen zuzulassen – wie im Fall des Betretungsverbots von der Polizei getan. Dies schränke die Pressefreiheit, die einem jeden Journalisten gesetzlich einen uneingeschränkten Zugang zu Ereignissen, die von öffentlichem Interesse sind, zuspricht, in ungebührlicher Weise ein. Besonders kritisch ist hierbei zu sehen, dass der Presseausweis von Behörden und Beamten immer seltener uneingeschränkt akzeptiert würde, obwohl die Presse ein Auskunftsrecht besitze und die Presse durch Behörden nicht in ihrer Arbeit behindert werden dürfe, sondern im Gegenteil unterstützt werden müsse. Bemängelt wurde darüber hinaus, dass immer häufiger politische Konflikte nicht mehr politisch ausgehandelt würden, sondern von Gerichten entschieden werden müssten. 

Interessant war die Einschätzung von Uli Röhm, dass in den großen Fernsehanstalten sehr genau verfolgt würde, was von unabhängigen Reportern wie denen von Cams21 ins Internet gestreamt würde. Diese Netzreporter und Blogger seien unverzichtbar, denn sie würden erst den behäbigen etablierten Medien auf die Beine helfen. Stefanie Brum merkte noch an, dass die Justiz „keinen Bock auf Stuttgart21“ mehr hätte und dass man dies an vielen Vorgängen sehen könne – vor allem auch an der sehr einseitigen Abwägung von Rechtsgütern zulasten der Pressefreiheit.

Insgesamt war es ein sehr lebhafter und informativer Abend, der deutlich gezeigt hat, in welch prekärer Situation die Pressefreiheit zumindest in Stuttgart steckt. Ganz deutlich wurde, dass die Pressefreiheit vor allem auch von den Journalisten selbst verteidigt werden müsse, dass sie selbst ihre Rechte immer und immer wieder einfordern müssten – und dass hierzu aber auch die Mediennutzer eine Verpflichtung haben: indem sie Zeitungen abonnieren, unabhängige Medien unterstützen und selbst auch immer wieder lautstark qualitativ hochwertigen Journalismus einfordern.

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Eine Antwort zu „Der lange Schatten von #s21 “ Zusammenfassung der Veranstaltung vom 11.01.2012

  1. planb schreibt:

    Danke für die gute Zusammenfassung 🙂

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