13.11.2011 #s21 Ab Montag wird trotz aller Fragwürdigkeiten weitergebaut – und demonstriert

Anstand ist heutzutage keine relevante Kategorie mehr im wirtschaftlichen Handeln (obwohl zu einem „ehrhaften Kaufmann“, der Herr Grube sein will, Anstand ganz sicher unabdingbar ist). Alles wird dem Shareholder Value, der kurzfristigen Vermehrung des Unternehmenswerts und damit auch dem ganz privaten Profit der Unternehmenslenker untergeordnet. Hätte Herr Grube auch nur einen Funken Anstand im Leib, würde die Bahn zumindest vor der Volksabstimmung nicht weiterbauen. So verlängert sich einfach nur die Liste der zahllosen Fragwürdigkeiten im Zusammenhang mit Stuttgart21 um eine weitere Fragwürdigkeit – die in der Summe nur dazu führen können, dass man mit JA bei der Volksabstimmung und damit für den Ausstieg aus S21 votiert!

Fragwürdig ist das Baurecht der Bahn. Die Fällung einer Platane am 30.09. war illegal und damit letztlich die Einrichtung der GWM-Baustelle. Darüber hinaus hat das Eisenbahnbundesamt einen Gerichtsbeschluss des höchsten Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichts außer Kraft gesetzt – eine gleichwohl legale, aber dennoch mehr als fragwürdige Praxis, wenn Gewaltenteilung als hohes Gut einer Demokratie angesehen wird.

Fragwürdig ist die Finanzierung. Die Bahn verwirrt seit Jahren bewusst mit allerlei Zahlen und Kalkulationen und dreht es sich immer so, wie es opportun ist. Jüngstes Beispiel: das Kostensteigerungsrisiko, das ziemlich genau berechnet werden kann und kein „Risiko“ im eigentlichen Sinn darstellt, da es ziemlich sicher eintritt. Dieses wurde bisher immer den Projektkosten zugeordnet. Um die Projektkosten klein zu Rechnen, wurden sie 2009 kurzerhand in den Risikotopf ausgelagert. Klar und bewiesen ist, dass der Kostendeckel von 4,5 Mrd. Euro so gut wie gesprengt ist – obwohl die tatsächlichen Risiken, die üblicherweise zwei, drei Jahre nach Baubeginn eintreten und für die der Risikotopf eigentlich eingerichtet wurde, noch gar nicht absehbar sind und noch gar nicht eintreten konnten.

Fragwürdig ist der Nutzen. Die „Schlichtung“ hat gezeigt, dass der verkehrliche und ökonomische Nutzen kaum gegeben ist und sich in einem Bereich bewegt, bei dem andere Großprojekte bereits längst abgeblasen worden wären. Wird das Projekt teurer als die 4,5 Mrd. Euro (und S21 wäre das erste Großprojekt, dass im Kostenrahmen bliebe!), gibt es keinen Nutzen mehr und der Bahnhof wird zum Milliardengrab – in aller erster Linie für die Baden-Württembergischen Steuerzahler! Stuttgart21 ist de facto ein riesiges Immobilienprojekt, bei dem es um dreistellige Milliardenbeträge geht – und wo man sich nicht wundern darf, dass Kräfte walten, die das normale Maß übersteigen. Die Profiteure (wer sie auch immer sein mögen) haben ob dieser Summer sicher ein unbedingtes Interesse daran, dass der Bahnhof gebaut bzw. vielmehr dass die Gleisflächen geräumt werden. Bei dieser Summe würde es auch nicht wundern, wenn am Ende stünde: koste es, was es wolle!

Fragwürdig ist die stadtplanerische Ästhetik des neuen Bahnhofs. Die schönen bunten Bilder der Bahn sind absolut unrealistisch und vermitteln einen komplett falschen Eindruck. So befinden sich heute noch große, tiefwurzelnde Bäume auf dem wenige Meter dicken Betondach des Bahnhofs. Die Lichtaugen sind glänzende, saubere Scheiben – jeder, der mit offenen Augen durch die Welt geht, weiß, dass Glasdächer die kürzeste Zeit klar und glänzend aussehen! Dass der Bahnhof kein Tiefbahnhof, sondern ein Halbtiefschrägbahnhof ist, wird in den Bildern auch verheimlicht. Der bestehende „Riegel“ des Gleisvorfelds verschwindet nämlich nicht, sondern wird mit den Gleisen um 90 Grad gedreht. Es entsteht ein über 10 Meter hoher Wall (zuzüglich der 6 Meter hohen Käseraspel)  parallel zur Schillerstraße, der die Innenstadt vom Schlossgarten trennt. Ein freier Zugang ist genauso wie eine freie Sichtachse nicht mehr gegeben. Und schließlich können 75% der Gleisflächen, die bei S21 verschwinden, auch mit dem bestehenden Kopfbahnhof verlegt und für Park oder Wohngebiete freigemacht werden.

Fragwürdig ist schließlich die demokratische Legitimierung. Die Bahn und auch die damalige CDU/FDP-Landesregierung haben bewiesenermaßen aktuelle Kostenberechnungen zurückgehalten, um die Zustimmung der Parlamente nicht zu gefährden. Dieser absolut unerhörte und in dieser Dreistigkeit einmalige Vorgang verspielt jeglichen Anspruch auf demokratische Legitimation. Und auch OB Schuster hat es in einer nie da gewesenen Arroganz und Kaltschnäuzigkeit fertig gebracht, die Bürgerschaft Stuttgarts zu übergehen und aus dem Entscheidungsprozess fern zuhalten. Die nahende Volksabstimmung soll in den Augen der Projektbefürworter die endgültige Legitimation im Nachhinein liefern, was jedoch ein genauso absurder wie undemokratischer Vorgang ist, denn das Fundament eines Hauses kann man auch nicht im Nachhinein bauen, wenn man merkt, dass das Haus doch beträchtlich wackelt.

Vor so vielen Fragwürdigkeiten kann man als denkender, anständiger Mensch doch seine Augen nicht verschließen und so tun, als wäre alles geregelt! Es geht immerhin um viele Milliarden Euro in Zeiten von Staatsverschuldung und Eurokrise. Wie viel Blauäugigkeit und Naivität ist nötig, um so ein Projekt zu unterstützen? Leider tut die Bahn nichts dafür, Antworten auf die vielen Fragwürdigkeiten zu geben, sondern bringt stattdessen ihre Marketingmaschinerie auf Hochtouren, malt weiter bunte Lügenbildchen, verängstigt die Bevölkerung mit absurd hohen Ausstiegskosten – und baut weiter!

Deshalb habe ich bereits per Briefwahl mit Ja gestimmt! Diese bürgerverachtende und mit Verlaub bürgerverarschende Dreistigkeit muss endlich ein Ende haben! Und deshalb stehe ich morgen früh wieder am GWM und demonstriere – an diesem Engagement werden auch 200 Knastcontainer und 9.000 Polizisten nichts ändern!

Wessen Stadt? Unsere Stadt!

Wessen Park? Unser Park!

Wessen Bahnhof? Unser Bahnhof!

Oben bleiben!

 

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4 Antworten zu 13.11.2011 #s21 Ab Montag wird trotz aller Fragwürdigkeiten weitergebaut – und demonstriert

  1. Arno Nühm schreibt:

    Fragwürdig sind vor allem die oben aufgeführten „Argumente“. Fragwürdig ist, wie eine (grüne) Partei die ehrenwerten Stuttgarter Wutbürger für ihre Dinge misbraucht.Fragwürdig ist, wie professionelle Marketing-Leute sich um die Anti-S21-Kampagne kümmert und daran verdient.Fragwürdig ist der ganze Merchandise rund um Anti-S21.Fragwürdig ist die Umweltverschmutzung durch Flyer, Bäbber, Staus und Demotourismus der Gegner.Fragwürdig ist, wieviel Geld für die Durchführung und Stimmenfang rund um die Volksabstimmung ausgegeben wird.

  2. Gila schreibt:

    …ach der Herr Arno Nühm mal wieder.Ihnen kann geholfen werden:Einfach nur mal kurz nachdenken und alle Ihre fragwürdigen Fragen wären geklärt!Freundliche Grüße in die Nacht.

  3. Arno Nühm schreibt:

    @Gila: Das ist ja endlich mal eine hilfreiche Antwort. Danke, aber jetzt kommen mir noch mehr Fragen.

  4. Thomas schreibt:

    Werter Arno Nühm, wenn die ach so geplagten Projektbefürworter statt des Autos die Bahn nehmen würden (wofür brauchen die eigentlich überhaupt einen Bahnhof?) dann stünden sie auch nicht im Stau, Demo hin oder her.

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