13.9.2011 #s21 Frühstücksdemonstration und: wann ist eine Versammlung eine Versammlung? #cams21

Heute früh gegen 6 Uhr waren bereits 50 bis 60 Demonstranten an der Einfahrt zum Grundwassermanagement. Wie immer kam gegen 6:15 das erste Hölscher-Fahrzeug, kurz darauf weitere, so dass bald 4 Fahrzeuge nicht ins GWM einfahren konnten, weil zu viele Demonstranten in der Einfahrt standen. (Anmerkung: in einem Fahrzeug lagen direkt hinter der Windschutzscheibe Bewerbungsunterlagen für eine Projektleiterstelle … Vielleicht sollte die Firma Hölscher ein wenig mehr auf Datenschutz achtgeben.) Gegen 6:30, inzwischen waren es bestimmt 70 Demonstranten, kam dann die Polizei. Sie forderte uns einmal auf, die Einfahrt frei zu machen, ansonsten würde sie räumen und Platzverweise und Anzeigen verteilen. Im Nachsatz kam dann noch, dass bei erneuten Behinderungen von Baufahrzeugen gleich Platzverweise erteilt werden. Bis auf vier Personen gingen alle bei Seite, die vier Personen wurden zu den Bussen vor der Expressgüterhalle begleitet oder auch getragen, um die Personalien aufzunehmen. Daraufhin fuhren die Fahrzeuge ein. Gegen 7:15 wollte Vokuhila mit seinem „Pimmelauto“, wie eine Demonstrantin sein Fahrzeug treffend betitelte, einen PS-starken Protz-Pickup mit Hölscherlogo aus der Einfahrt herausfahren. Wieder standen bzw. saßen einige Demonstranten im Weg und wurden nach 10 Minuten von der Polizei weggeführt, um ihnen Platzverweise zu erteilen. Mit viel Gas und Potenz raste der junge Mann davon.
Damit nicht genug. Nach weiteren wenigen Minuten standen ein Kleinbus, ein Kleinlaster mit Absperrgittern, eine Hebebühne und zwei Bagger mit Gabelstapler-Gabeln und Paletten mit Betonteilen für die Absperrgitter und einer anderen Gerätschaft an der Ausfahrt und wollten hinaus. Die Polizei hatte die Einfahrt nach dem Pickup nicht verlassen und schützte so die Fahrzeuge, die unter lautem Protest aus dem GWM fuhren. Mich erstaunt immer wieder, wie verkehrsgefährdend diese Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen fahren dürfen. Ladung wird ungesichert auf einer Palette auf einem Gabelstapler die gesamte Straße am Schlossgarten bei fließendem Verkehr transportiert, die Absperrgitter liegen kaum befestigt auf offener Ladefläche mit herunterhängenden Seitenklappen und die Polizei steht dabei und sieht zu und versucht, einigermaßen laienhaft den Verkehr zu regeln. Auf Nachfrage bei Herrn Weinstock dürfen Baufahrzeuge „von Baustelle zu Baustelle“ in dieser Weise auf öffentlichen Straßen fahren – auch wenn die Strecke mehrere Kilometer beträgt. Aber auch arbeits- und versicherungsrechtlich ist bedenklich, dass nur wenige Arbeiter Helme tragen und für die Berufsgenossenschaft ist der ungesicherte Transport bestimmt auch nicht ganz uninteressant.
Dem Hubsteiger folgten einige Demonstranten in Richtung Wolframstraße, so dass der Steiger von Polizeiketten geschützt die Straße entlangtuckerte. Als die Demonstranten anfingen, schneller zu laufen, wurde die Polizei hektisch und rannte hinterher. Außer Beschimpfungen blieb es aber wohl friedlich. Der Hubsteiger und zwei andere Fahrzeuge sind offensichtlich in den Unteren Schlossgarten gefahren, um dort mit der Rohrverlegung weiter zu machen.
Gleichzeitig fuhren der Laster mit den Absperrgittern und der Bagger mit den Betonsockeln zum Südeingang. Da auch diesen Fahrzeugen Demonstranten folgten bzw. vorausliefen, waren die Stützen und Betonsockel, die bereits am Südeingang stehen und die die Bauarbeiter einzäunen wollten, bereits von Demonstranten besetzt. Die Trommler hatten sich auch hier eingefunden, so dass wir laut, bunt und öffentlichkeitswirksam an der Schillerstraße demonstrieren konnten. Hier lief auch bald viel Polizei auf und versuchte, die Baustelle von den Demonstranten zu räumen. Ein Teil wurde weggedrängt, zwei, drei andere wurden von einem Betonständer abgeführt, wobei es zu einer unschönen Situation mit einer Dame und Polizisten kam, die ziemlich handgreiflich wurden und die Dame sehr rabiat hinter einen Bagger schoben.
Dann wurde unter Polizeischutz der Zaun aufgebaut. Nach einer Viertel Stunde wurde der Zaun an einer Seite wieder geöffnet, damit der Laster und der Bagger wieder herausfahren konnten. Daraufhin löste sich die Demonstration mehr oder weniger auf und ich ging zur Arbeit.

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Wann ist eine Versammlung eine Versammlung und wann ist sie spontan?
Herr Weinstock, der Einsatzleiter, hat uns heute erneut den Status einer Versammlung abgesprochen. Das ändert sich bei der Polizei leider von Tag zu Tag. Wichtig ist dieser Punkt, weil es rechtliche Konsequenzen hat, ob die Polizei eine spontane Versammlung auflösen muss oder nur gegen eine Menschenansammlung vorgeht. Laut Herrn Weinstock gibt es mehrere Aspekte, die eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz ausmachen: eine Versammlung muss angemeldet sein und einen Verantwortlichen, also einen Versammlungsleiter haben. Auch gehört zur Versammlung, dass sie auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist, es also Reden oder Kundgebungen geben müsste. Das alles träfe bei uns nicht genügend zu. Natürlich seien Versammlungen auch spontan möglich und müssten dann auch nicht angemeldet werden und benötigten dann auch keinen Versammlungsleiter. Diese Spontaneität sei allerdings nur gegeben, wenn es einen unvorhersehbaren Grund für die Versammlung gäbe und der läge bei uns ja auch nicht vor, da wir täglich dort seien. Deshalb wären unsere Aktionen morgens am GWM reine „Verhinderungsblockaden“ und würden nicht als VErsammlung angesehen.

Lieber Herr Weinstock, hierzu möchte ich doch Stellung nehmen. Sie können sich denken, warum diese Versammlungen niemand anmeldet. Abgesehen davon, dass es tatsächlich keinen Verantwortlichen oder Koordinator für diese Aktionen gibt, ist es in Stuttgart auch niemandem zuzumuten, als Versammlungsleiter in Haftung für Demonstrationen gegen das Projekt S21 genommen zu werden, wie man an den diversen Verfahren z.B. gegen Gangolf Stocker sehen kann. Würden Sie (als Polizei), würde die Staatsanwaltschaft unseren Protest ernst nehmen und uns nicht gezielt durch Lapalien kriminalisieren, wäre über eine Anmeldung durchaus nachzudenken. Ich möchte Ihnen erklären, warum es sich bei den morgendlichen Menschenansammlungen aus meiner persönlichen Sicht dennoch um Versammlungen handelt: unser Protest möchte nicht und ganz sicher nicht in erster Linie die Baustellen behindern oder Bauarbeiten verzögern. Natürlich freuen wir uns über jede Stunde, die nicht gebaut wird – sogar Freitags, wenn manchmal keine Baufahrzeuge kommen und wir gar nichts verhindern können, bin ich froh, weil ich weiß, dass einen ganzen Tag nicht gebaut wird. Der Protest am GWM und an den Baustellen richtet sich in aller erster Linie an die Öffentlichkeit, ist die Bezeugung unseres tief empfundenen Unmuts über die Vorgänge in Stuttgart, unserer Ohnmacht und Machtlosigkeit. Nur weil oft keine Presse vor Ort ist, kann uns dieser Impetus nicht abgesprochen werden – wir versuchen ja sogar mit eigenen, zugegebenermaßen recht beschränkten Mitteln z.B. über die Internet-Streams von cams21 oder auch über meine täglichen Berichte für eine gewisse Öffentlichkeit zu sorgen. Wir wollen gehört werden! Wir wollen, dass man unseren Protest wahrnimmt! Spontan ist die Versammlung natürlich (auch wenn sich nahezu täglich Leute dort treffen und es sicher eine gewisse Routine gibt), nicht nur, weil sich jeder der Teilnehmer spontan jeden Morgen überlegt, daran teilzunehmen, sondern auch und vor allem weil es jeden Tag (!) neue Gründe für diese Unmutsäußerungen und Demonstrationen gibt. Heute früh beispielsweise wollte ich nicht zum GWM gehen, wollte länger schlafen und Dinge erledigen. Als ich aber in der Zeitung las, dass die Bahn nun Kosten des Projekts S21 in andere Töpfe „auslagern“ möchte, ging mir wieder die Hutschnur hoch! Diese Wut muss ich raus lassen, und das tue ich eben spontan und jeden morgen erneut motiviert und begründet am GWM! Die Leute sollen sehen und merken, was passiert! Viele Plakate beziehen sich übrigens auch auf ganz aktuelle Neuigkeiten aus dem S21-Sumpf! Als Herr Hauk, der Fraktionsvorsitzende der CDU, vor wenigen Tagen sagte, unsere Aktionen am GWM würden nichts bringen, habe ich vor Freude gestrahlt, zeigte es mir doch, dass wir wahrgenommen werden und dass wir nicht unbemerkt am GWM stehen. Genau dazu sind unsere Aktionen gedacht! Herr Hauk hat mich mit seiner Äußerung vielmehr bestärkt, dass es öffentlichkeitswirksam ist, was ich mache. Im übrigen: wir sind ja nicht so blöd und glauben, dass unser Protest wirklich viel am Baufortschritt ändern wird – immerhin sind Sie ja morgens bereits mit so vielen Einsatzkäften vor Ort, dass eine längere Behinderung gar nicht möglich wäre. Wie Sie aber auch sehen können, geht es uns eben nicht um Verhinderung oder Behinderung, sondern darum, ein Zeichen zu setzen, dass wir viele gute Gründe – und nahezu jeden morgen neue gute Gründe gegen dieses unsägliche Projekt haben! Und zu ihrem letzten Punkt: Kundgebungscharakter haben diese Versammlungen auch: so wird immer, wenn zahlreiche Leute vor Ort sind, über Megaphon eine Rede gehalten! Wenn wir weniger sind, ist eine Rede über Megaphon schlicht übertrieben, aber Kundgebungscharakter hat sie so oder so, denn es gibt aktuelle Transparente und Plakate, wir diskutieren und bilden uns unsere Meinungen nicht zuletzt auch auf diesen spontanen Versammlungen!

Oben bleiben!

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5 Antworten zu 13.9.2011 #s21 Frühstücksdemonstration und: wann ist eine Versammlung eine Versammlung? #cams21

  1. Chris0711 schreibt:

    Hmmm, sorry aber nur ganz kurz heute, ich halte von dir als Person echt viel und naja deine Texte sind meist sehr gut, wenn auch eben sich unsere Meinung nicht deckt….Was mir aber nicht gefällt, wenn du anfängst zu lügen. Gut ich will nicht so hart sein, wenn du eben etwas verfälscht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass für dich seit Tagen fest stand, dass du dich am Morgen am GWM einfindest, unabhängig von der Nachricht zur Finanzierung.Wie ich zu der Annahme komme: Vor gut einer Woche wurden für diese Woche die 500+ Woche ausgerufen (Klangerzeuger wars glaub ich) so dass 500 Blockierer immer wieder kommen sollten um das Projekt zu stoppen, dies sollte heute starten. Gut unabhängig davon dass ihr die gleiche Anzahl an Demonstranten aufgefahren habt, die jeden Dienstag kommen war es wieder nix als heiße Luft. Jetzt komme ich aber zu der Annahme dass ich deine Aussage für falsch halte: Auch du hast diesen Text mehrfach retweetet und auch darauf hingewiesen bei Twitter, man würde so etwas wohl kaum machen, wenn man nicht auch die feste Absicht hat, bei diesen 500 Personen „dabei“ zu sein. Ich halte daher deine Ausrede dass du es dir jeden Morgen neu überlegst für Unsinn.Dies entspricht aber MEINER Meinung, denn ich werde mir sicher nie das Recht rausnehmen, dass ich über deine Gründe fürs Blockieren richte. Diese Diskussion hatten wir erst letztens und da ich dich als Person achte (soweit das virtuell möglich ist) werde ich auch nicht weiter deine Gründe in Abrede stellen.Traurig ist aber, wenn der Leiter der Polizei versichert, dass es erlaubt es, von einer zur anderen Baustelle „so zu fahren“ dann sollte man vielleicht endlich das Glauben ansonsten seid ihr doch eh aktiv was Anzeigen von Owis bei anderen betrifft (ich will nicht behaupten du direkt).PS: also bitte nicht falsch verstehen, ich möchte dich nicht beleidigen, nur heute fand ich den Text doch etwas auf „Bild-Niveau“ und das missfällt mir, da du sonst doch sehr sehr gut schreibst!PPS: Evtl. trifft man sich ja mal am GWM…aber nicht morgens zum blockieren^^

  2. Zwuckelmann schreibt:

    Jetzt verdrehen Sie aber die Tatsachen, lieber Chris0711: zum einen habe ich den Tweet mit den 500+ retweetet mit dem Hinweis, dass ich das für Quatsch halte – immerhin weiß ich zur Genüge um die Unmöglichkeit, Menschenmassen gezielt motivieren zu wollen. Ich habe sogar speziell darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht hinter dieser „Aktion“ stecke, denn mein Name wurde in diesem Zusammenhang genannt. Insofern werde ich ganz sicher auch nicht eine Absicht geäußert haben, „dabei“ sein zu wollen. Im übrigen: nur weil irgendwer 500+ twittert, ist das ganz sicher keine „offizielle“ Aktion.Bestimmt gibt es die Möglichkeit, Baufahrzeuge von Baustelle zu Baustelle fahren zu lassen, natürlich glaube ich das dem Einsatzleiter. Aber ich bin mir sicher, dass es auch hier Regelungen gibt, wie das abzulaufen hat. Ehrlich gesagt möchte ich nicht den Baufahrzeugen begegnen, denn verkehrssicher ist das nicht, was da passiert. Das ist es, wogegen ich mich wende.Und schließlich: mir ist ehrlichgesagt nicht bekannt, dass wir besonders aktiv darin wären, Ordnungswidrigkeiten anzuzeigen. Wer hat denn Zeit, sich damit zu befassen?!? Ich wundere mich nur darüber und beklage durchaus auch, dass hier ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen wird – und das gehört sich in einem Rechtsstaat nicht.Gegen ein Treffen ist nichts einzuwenden … kontaktieren Sie mich gerne unter zwuckelmann(at)gmx.net 🙂

  3. Rocdonzo schreibt:

    „…unseren Protest ernst nehmen und uns nicht gezielt durch Lapalien kriminalisieren, wäre …““…ist bedenklich, dass nur wenige Arbeiter Helme tragen und für die Berufsgenossenschaft ist der ungesicherte Transport …“Wer kriminalisiert hier wen wegen Lapalien?

  4. planb schreibt:

    Armer Zwuckel, immer musst Du Dich in den Kommentaren mit blöden Zivis/Astroturfern/Pros rumschlagenKopf hoch und Danke für Deine Arbeit 🙂

  5. Zwuckelmann schreibt:

    @Rodonzo: Ich kriminalisiere niemanden, sondern stelle fest, dass die Arbeiter keine Helme tragen oder mit nicht gesicherter Ladung auf öffentlichen Straßen fahren. Solange das niemand zur Anzeige bringt, passiert da auch nichts – und mir ist nicht bekannt, dass jemand von uns in dieser absurden Weise tätig wäre. Die Reaktion der Polizei habe ich ja bechrieben. Wenn aber jemand von uns zur Sympathiebekundung hupt, wird er von der Polizei verfolgt und darf blechen. Das ist der Punkt und der kleine, aber feine Unterschied!@planb: ja, manchmal ist das echt anstrengend, aber im großen und ganzen sind die Kommentare ja in Ordnung 😉

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