9.9.2011 #s21 Hölscher macht schon Wochenende; und: unsere Friedlichkeit wird massiv untergraben, der Widerstand gelähmt

Heute früh war am GWM nichts zu tun, denn die Hölschers sind bereits ins Emsland und ins Wochenende verschwunden. Deshalb nochmals mein leicht aktualisierter Text von gestern, weil ich so wütend war, dass auch bei mir die Einschüchterungstaktik der Polizei und Staatsanwaltschaft Erfolg hat:

Eine, wenn nicht die Stärke unseres Widerstands und ein ganz wichtiger Aspekt, der uns sehr viele Sympathien zugetragen hat, ist unsere Friedlichkeit. Unsere Friedlichkeit machte uns stark, machte uns vielleicht sogar zu stark für diejenigen, für die wir unbequem und ein Dorn im Auge und Sand in ihrem Getriebe sind. Denn wie soll man mit rechtsstaatlichen Mitteln eine große friedliche Menge von einem Baustellengelände verdrängen? Wie geht man mit friedlichem, massenhaften Protest um?
Eine Möglichkeit haben wir am 30.09.2010 erlebt – hier hat der Rechtsstaat als erstes Mittel gleich das allerletzte, in diesem Fall vollkommen unangemessene Mittel eingesetzt und mit Wasserwerfern und massiver Polizeigewalt die Menschen aus dem Schlossgarten getrieben. Unsere Friedlichkeit an diesem Tag hatte eine enorme Wirkung – und hat uns sehr, sehr stark gemacht in unserer Niederlage. Zehntausende sind daraufhin auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität zu zeigen.
Klar war, dass ein solches Vorgehen in Zukunft absolut nicht mehr möglich sein würde, denn dieses Vorgehen spielte uns in die Hände.
Der Widerstand ließ nicht nach und natürlich müssen sich die Verantwortlichen dieses Wahnsinnsprojekts überlegen, wie sie nun weitermachen. Eine weitere Möglichkeit, ein äußerst unfaires, aber sehr wirkungsvolles Mittel ist, unsere Friedlichkeit bewusst zu untergraben und uns unsere Friedlichkeit abzusprechen. Ich weiß nicht, wie viele Platzverweise und Anzeigen es seit dem Herbst letzten Jahres gegeben hat, was ich aber weiß, ist, dass der „Rechtsstaat“ seine volle Härte ausspielt. Oberstaatsanwalt Häussler lässt bewusst keine Möglichkeit aus, Widerständler zu verfolgen. Dies trieb so eigenartige Blüten wie die Androhung eines Ordnungsgeldes nach §118 wegen groben Unfugs über Gefährdungsansprachen und schließlich auch die Anzeige von unbeteiligten Zuschauern und Sympathisanten bei Blockadeaktionen. Vorgestern gab es ein Ordnungsgeld wegen Hupens, als ein vorbeifahrendes Auto seine Sympathie am GWM bezeugen wollte  …
Ein Höhepunkt der bewussten Kriminalisierung war gewiss der 20.06.2011. Schnell, gezielt und massiv wurde die Baustellenbesetzung in der Presse als „Stürmung“, als gezielte Aktion mit Sachbeschädigung und schwerer Körperverletzung mit diversen Knalltraumata bei Polizisten dargestellt – obwohl jeder, der vor Ort war, anderes bezeugen wird und zahlreiche Bilder und Filme anderes zeigen.
Dieser Abend wird heute noch dazu benutzt, den friedlichen Widerstand zu untergraben. Noch heute werden Personen, junge wie alte, von Polizisten aus Demonstrationen herausgezogen, ihre Personalien werden festgestellt, sie müssen mit aufs Revier und es ist nie ganz klar, ob man als Zeuge oder als Beschuldigter aufgegriffen wird. Auch die Hausdurchsuchungen bleiben nicht ohne Wirkung – nicht nur bei den betroffenen, sondern letztlich bei allen, die an diesem Tag Fotos oder Filme gemacht haben und diese ins Internet gestellt haben oder sich in einer anderen Weise in die Öffentlichkeit stellen. Aber auch Personen, die auf Fotos oder Filmen identifiziert werden, müssen damit rechnen, von der Polizei aufgegriffen zu werden.
Inzwischen hagelt es auch Vorladungen und Anhörungen zu Ermittlungsverfahren und alle Tage gibt es Gerichtsverfahren gegen Widerständler. Es werden aktuell auch besonders Situationen der jüngsten Vergangenheit verfolgt, während ältere Vorgänge liegen bleiben – was man nicht anders interpretieren kann, als dass „der letzte Rest“ des aktiven Widerstands in die Mangel genommen werden soll.
Als friedlicher Mensch, der mit der Polizei nichts zu schaffen haben möchte, vielleicht sogar etwas obrigkeitshörig ist, hat das eine enorme Wirkkraft. Das Vorgehen der Polizei und Staatsanwaltschaft verunsichert und führt dazu, dass sich viele Menschen nicht mehr auf Demonstrationen oder zu anderen Aktionen trauen und sich zurückziehen – aus furcht vor rechtsstaatlicher Verfolgung.
Was deutlich wird: unsere größte Stärke, nämlich unsere Friedlichkeit, ist gleichzeitig unsere größte Schwäche, weil wir genau hier am verletzlichsten sind! Wir werden bei friedlichen Veranstaltungen und bei der Wahrnehmung unserer demokratichen Grundrechte massiv und professionell kriminalisiert und eine der schwierigsten Aufgaben, denen wir uns stellen müssen, ist, dieser Kriminalisierung stand zu halten, auch mit Magengrummeln weiter zu machen und anderen Sympathisanten die Angst zu nehmen! Es ist in Ordnung, wenn Personen, die Sachen beschädigen oder Straftaten begehen, verfolgt werden. Was hier aber passiert, ist etwas anderes: es werden nicht nur Personen verfolgt, die Sachen beschädigt haben, sondern auch Personen, die nur vor Ort waren. Selbst die Presse ist nicht sicher vor Verfolgung – von Pressefreiheit kann man hier in Stuttgart eigentlich nur noch bedingt sprechen. Auch werden Menschen mit aller Härte verfolgt, die Fahrzeuge blockieren – obwohl es höchst umstritten ist, ob eine Blockadeaktion eine Nötigung und damit eine Straftat darstellt – vor allem, wenn es andere Möglichkeiten gibt, in ein Baugelände zu kommen.
Die Gerichtsurteile tun weh, jedes einzelne. Menschen werden zu vielen Tagessätzen verurteilt, weil Sie nach der Auslegung der Stuttgarter Gerichte Nötigungen begangen haben. Diese Urteile verunsichern natürlich auch, denn immerhin stehen hier Menschen vor Gericht, die für ihre Überzeugung eingestanden sind und bisher in der Regel noch nie als Angeklagte vor Gericht standen. Es braucht mutige Menschen, die Widerspruch einlegen, die in Berufung gehen – und das in der Hoffnung, dass höhere Gerichte, vielleicht sogar das höchste Gericht ein anderes, ein aus unserer Sicht gerechteres Urteil spricht. Natürlich kann man sich dessen nicht sicher sein – andere Urteile machen allerdings Mut, dass man Blockaden und andere symbolische Aktionen des Widerstands auch anders auslegen kann.

Ich rufe Euch alle dazu auf, mutig weiter zu machen. Unsere Friedlichkeit ist unsere Stärke und unsere Schwäche zugleich, seid Euch dessen bewusst! Lasst Euch nicht einreden, dass Eure Friedlichkeit strafbar ist! Wir haben demokratische Rechte! Wir dürfen demonstrieren! Wir dürfen unsere Meinung äußern! Wir dürfen zu symbolischen öffentlichkeitswirksamen Mitteln greifen, um unsere Empörung über die unhaltbaren Vorgänge hier in Stuttgart öffentlich zu machen. Wir dürfen uns unsere Friedlichkeit und unsere Überzeugungen nicht durch bewusste Kriminalisierung kaputt machen lassen, denn das ist, was die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Projektbefürworter und Projektverantwortlichen damit bezwecken! Lasst sie nicht gewinnen, indem sie uns plump Angst einjagen! Ich habe Vertrauen in unseren Rechtsstaat! Ich glaube daran, dass die friedlichen Mittel, die ich einsetze, am Ende auch vor Gericht stand halten werden und als angemessen angesehen werden – vielleicht nicht in Stuttgart, aber spätestens in Karlsruhe. Ich halte auch die zweite Backe hin, wenn sie mich auf die erste schlagen! Ich lasse mich verdammt noch mal nicht einschüchtern! Und ich will, dass sich niemand einschüchtern lässt, denn nur mit unserer massiven Präsenz auf der Straße können wir genug Druck erzeugen, um unser Ziel zu erreichen: das unsinnige Projekt Stuttgart 21 ein für alle mal zu stoppen!

Mutig bleiben!

Oben bleiben!

P.S. Die Plakate der Architekten wurden schon wieder zerschnitten und zerstrört – diesmal so sehr, dass nichts zu retten sein wird. Wo leben wir nur!?!?

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7 Antworten zu 9.9.2011 #s21 Hölscher macht schon Wochenende; und: unsere Friedlichkeit wird massiv untergraben, der Widerstand gelähmt

  1. Nina schreibt:

    Super geschrieben!Danke Zwuckelmann für die Texte. Du bringst alles immer so klar auf den Punkt,erkennst die Hintergründe. Du machst den Menschen auch Mut!

  2. henrike schreibt:

    danke zwuckelmann.du machst uns mut!!!friedlich oben bleiben!

  3. Arno Nühm schreibt:

    Nur ein Gedanke: Im „Aktionskonses“ sagt man, dass man die Folgen des Übertretens von Gesetzen akzeptiert, hier lese ich ein Gejammere. Es gibt das Strafrecht und das Zivilrecht. Leider scheint es so, dass bei den „Schulungen“ nur das Strafrecht angesprochen wurde.Ein Großteil der Arbeit der Polizei und StA scheint derzeit darauf hinauszulaufen, dass Hölscher und die Bahn zivilrechtlich den Schadenersatz für den 20.6. einklagen können. Was vielleicht überraschend sein mag ist, dass ALLE, die sich an der illegalen Aktion beteiligt haben, potentiell mit einer saftigen Forderung rechnen dürfen.Hier sollte man mal den AK Jura und die Ober-Parkschützer fragen, warum sie die Gefolgsleute nicht darauf vorbereitet haben. Bei Blockaden kann es übrigens auch noch geben. Hier ist die Bahn sehr kulant mit Klagen auf Schadenersatz.

  4. Arno Nühm schreibt:

    Noch etwas: „Friedlich“ schützt vor Strafe nicht. Wenn ich mit einem Auto (egal ob mit Pro- oder Anti-Aufkleber) zu schnell durch eine Kontrolle fahre, dann darf ich zahlen. Das ist unabhängig davon, ob es aus meiner Sicht für einen guten Zweck war.

  5. observer schreibt:

    Schön, daß Sie vorbehaltlos zu Friedlichkeit aufrufen. Sie behaupten dann aber fälschlicherweise, daß Ihre Ansicht und Ihr Verhalten identisch mit „dem Widerstand“ sei: Nicht jeder, der am 20.6. dabei war, kann bezeugen, daß kein Sachschaden entstanden ist – denn irgendwer hat den am nächsten Tag voll sichtbaren Schaden ja verursacht. Also ist „der Widerstand“ zeit-und teilweise gewalttätig.Daß die Polizei die Täter konsequent sucht sollte auch im Sinne des friedlichen Widerstands sein, und nicht beklagenswert. Mit Ihren Aussagen bestärken sie allenfalls Gewalttäter, im Schutze der nächsten friedlichen Demo wieder per Sachbeschädigung ihr Mütchen zu kühlen.Zur Nötigung:Was Nötigung ist bewertet zunächst mal die Polizei und dann der Staatsanwalt. Die können schon mal danebenliegen, deshalb urteilt danach ggf ein Gericht mit dem gebotenen Abstand vom Streitfall und nach Gesetzeslage. Da sind dann also gleich drei Instanzen der Meinung, das das Gesetz übertreten wurde. Nur weil man verliert und oft verliert, kann man nicht einfach ein Fehlurteil vermuten. Es muß schon eine plausible Begründung her.Zum PS.: Ich verurteile meinerseits eine derartige Sachbeschädigung absolut. Und ich habe keinerlei bedenken, einen Idioten, der sowas macht, per Video zu überführen und das Video der Polizei zu überlassen – ganz ohne Hausdurchsuchung.Warum ist das bei Ihnen bzgl der Baustellenbeschädigung anders?

  6. Weiterbauen schreibt:

    Friedlich ist nicht strafbar und man darf von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Aber Nötigung und Sachbeschädigung sind eben strafbar. Und dass dies vorgekommen ist, ist auch außerhalb jeden Zweifels.

  7. Augen auf schreibt:

    Der Text zeugt wieder einmal mehr davon, dass mann vor Teilen der Wahrheit schlicht die Augen verschließen kann, wenn man es denn will. „Ein Höhepunkt der bewussten Kriminalisierung war gewiss der 20.06.2011. Schnell, gezielt und massiv wurde die Baustellenbesetzung in der Presse als „Stürmung“, als gezielte Aktion mit Sachbeschädigung und schwerer Körperverletzung mit diversen Knalltraumata bei Polizisten dargestellt – obwohl jeder, der vor Ort war, anderes bezeugen wird und zahlreiche Bilder und Filme anderes zeigen.“ – Die Zeugen haben eben nun mal ausgesagt, dass es so war, und die Beamten haben Knalltraumata, und es gibt Bilder und Filme, die es genau so darstellen, wie es in der Presse beschrieben wurde. Der Protest hat seine Ziele und wenn er friedlich abläuft ist das o.k. Es bringt aber nichts, allem, was im Namen des Widerstandes geschieht, einen Heiligenschein aufzusetzen und Irttümer und Fehler schlicht zu leugnen. Das kostet Sympathien!

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