#s21 Update zur Lage in Stuttgart – für Nicht-Stuttgarter und wenig Informierte

Brief an meinen Bruder im Rheinland, der mein Tun nur am Rande mitverfolgt und mich gestern in den Tagesthemen gesehen hat. Dies nahm ich zum Anlass, einmal mehr über meine Situation und meine Beweggründe zu reflektieren, so dass ich diesen Brief einfach mal hier poste.

Lieber Oli,

Danke, dass Du uns darauf aufmerksam gemacht hast, dass wir in den Tagesthemen zu sehen waren. Gerade haben wir uns die Sendung genau angesehen und mussten wirklich scharf hinsehen, um uns zu erkennen. Aber wir haben es beim zweiten Anlauf geschafft 🙂 Wie konntest Du uns nur erkennen? Und wie Du siehst, protestieren wir tatsächlich munter weiter, auch wenn die Medien auf uns einprügeln und uns einhämmern wollen, dass wir doch nun endlich still sein sollen! Ich fragte mich während der Reportage in den Tagesthemen: wer ist hier trotzig? Wer ist unnachgiebig? Wie dargestellt die Demonstranten, die sich natürlich mit viel Herzblut engagieren, weil es um ihre Stadt, um ihren Park, um ihr Mineralwasser und um ihre ganz nahe Lebensumwelt geht; oder die Projektbefürworter, die endlich wollen, dass wir still sind und klein bei geben und endlich die Fresse halten und dafür alles in Bewegung setzen? Immerhin geht es um ein für die Bahn ausgesprochen lukratives Unterfangen. Wie meine Antwort hierzu aussieht, ist klar. Außerdem frage ich mich, wenn ich nun seit vielen Monaten regelmäßig auf die Montagsdemonstrationen gehe und die Menge nicht wirklich viel kleiner wird, ob sich so viele Leute so täuschen können? Man stelle sich vor: in Stuttgart gehen seit über einem Jahr Woche für Woche mehrere Tausend Leute auf die Straße und protestieren – wo gab es das jemals in dieser Ausdauer und Größe? Und warum schaffen es die Bahn und alle anderen beteiligten Befürworter nicht, mich und die vielen anderen davon zu überzeugen, dass das Projekt ein gutes ist? Ich bin doch insgesamt recht vernünftig, sehr vorsichtig mit Urteilen und durchaus einsichtig, lasse mich auch wirklich gerne eines Besseren belehren, … aber sobald man sich ein wenig mit den Details der Planung von Stuttgart 21 beschäftigt, können einem schon berechtigte und massive Zweifel über den Sinn dieses Milliardenprojekts kommen. Und die Bahn schafft es trotz aller angeblichen Bemühungen einfach nicht, mich von dem Projekt zu überzeugen, ganz im Gegenteil schafft sie es, dass ich mich von ihr immer mehr verarscht und verhohnepiepelt fühle, für nicht voll genommen und letztlich mit meiner begründeten Skepsis nur lästig. Die Bahn spaltet weiter und befriedet nicht. Deshalb stehe ich seit Januar nahezu täglich frühmorgens auf der Straße vor dem Bautor und handele mir reihenweise Platzverweise und teilweise auch Anzeigen ein, demonstriere jeden Montag und tue halt, was ich in dieser Situation nicht lassen kann.
Die „Eskalation“ von letztem Montag wird übrigens in den Medien enorm hochgespielt und übertrieben. Es klingt in den Medienberichten immer so, als ob hunderte wildgewordener Demonstranten den Bauzaun niedergerissen hätten, auf das Baugelände gestürmt wären und mit Lust und Laune alles zerstört hätten, was sich ihnen in den Weg gestellt hat. Selbst die Stuttgarter Medien, die ja eigentlich vor Ort sind und sich einen eigenen Eindruck von der Situation hätten verschaffen können, vertrauen lieber auf den Polizeibericht und dpa-Meldungen (?). Wie es in diesen dargestellt wird, war es natürlich überhaupt nicht! Die symbolische Besteigung und Besetzung der Grundwassermanagement-Anlage war ein gutes und richtiges Zeichen und die Stimmung aller Anwesenden war friedlich und besonnen. Selbst die Polizei war besonnen. Aber es gab einige wenige, die vor Wut und Ärger über die anhaltende ewige Aroganz der Macht, der Bahn, der Bundespolitik eben tatsächlich Dinge zerstört haben – das allerdings zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt und für die Menge an potenziell zu schädigendem Zeug, was es auf der Baustelle so gab, in Maßen (wenn man das so sagen darf). Die „Millionenhöhe“ des Schadens, von der immerzu berichtet wird, ist übertrieben und soll wie die Meldungen über verletzte Polizisten nur dramatisieren und uns kriminalisieren. Wahrscheinlich ist ein ziviler Polizist in einem Handgemenge tatsächlich etwas verletzt worden, aber alle anderen acht mit einem Knalltrauma Verletzte sind reine Propaganda. Dafür gibt es genug Beweise.
Das ist für mich sowieso das schwierigste am Widerstand (und Grund für meine tägliche Berichterstattung auf meinem Blog), nämlich dass wir so sehr gegen eine gut funktionierende PR-Maschinerie der Bahn zu kämpfen haben und mit so sehr unkritischen Medien, die blind alles nachplappern, was die Polizei oder die Bahn sagen. Eine kritische Presse gibt es in Stuttgart nicht und überregional verständlicherweise in dieser Thematik einfach zu wenig. Das führt dazu, dass wir wirklich gegen WIndmühlen ankämpfen und letztlich auch viel aushalten müssen. Wie unser Widerstand aktuell in den Medien dargestellt wird, ist unterirdisch und katstrophal. Man will uns diskreditieren und ruhig stellen, weil wir einfach zu lästig sind. Verkehrsminister Herrmann ist hier nur die Spitze, die gebrochen werden soll. Die Bahn ist sich bewusst, dass es ihr nicht gelingen wird, 17 Kilometer (!) oberirdische Wasserrohre durch die Stuttgarter Innenstadt zu verlegen, wenn der Protest so stark bleibt, wie er ist. Wie soll das aufgebaut werden? Wie soll das geschützt werden? Mit Hundertschaften? Mit Stacheldraht??? Insofern bin ich eigentlich ganz guten Mutes, dass wir, dass unser WIderstand, egal, was die Medien auch schreiben, das Projekt verhindern können. Die einzige Möglichkeit, wie mein Widerstand von der Bahn selbst gebrochen werden kann, ist mit Transparenz, Ehrlichkeit und Vernunft. Wenn die Bahn es schafft, mich so von Stuttgart 21 zu überzeugen, werde ich sofort still sein, ja, sogar zum Befürworter mutieren. Solange die Bahn aber offensichtlich trickst, verheimlicht, unter Druck setzt und sich auf reine Formalitäten beruft, bleibt sie für mich unglaubwürdig und wird meine Zustimmung zu dem Projekt und mein Vertrauen in das Projekt nicht erhalten.

Soviel im Rundumschlag zur Situation hier in der Schwabenmetropole. (…)

Oben bleiben!

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9 Antworten zu #s21 Update zur Lage in Stuttgart – für Nicht-Stuttgarter und wenig Informierte

  1. sturclub schreibt:
  2. Klaus schreibt:

    Ich hätte es nicht besser audrücken können

  3. itari schreibt:

    Anmerkung: Die Medien sind nicht unkritisch. Sie verkaufen Sensationen, egal wie sie zustande kommen oder belegbar sind. Und sie verkaufen dich, wenn es sich lohnt und das in doppeltem Sinne.

  4. exilschwabe schreibt:

    Was ist die Welt schlecht:Die Bahn verarschtDie Polizei kriminalisiertDie Presse plappert nachDie Politik lügtUnd alle haben ein Kartell für Stuttgart21 gegründet.Aber zum Glück gibt es eine Gruppe von edlen Menschen, die gegen einen Bahnhofsumbau kämpft. Hermann ist ihr Heiliger, Herrmann ihr Sprecher. Denn wenn der Bahnhof umgebaut wird, geht Stuttgart unter und die Welt wird aufs schwerste geschädigt.Mann, komm raus aus Deiner verbohrten Ecke!

  5. Oberschwabe schreibt:

    Schwabenmetropole?Wohl eher eines der größten Dörfer überhaupt. Man könnte auch höflich Provinz dazu sagen. Aber selten habe ich so verbohrte und unaufgeschlossene Menschen wie in Stuttgart getroffen.Ihr wollt den Bahnhof nicht. Gut. Dann gibt’s ihn auch nicht. Hauptsache die NBS wird gebaut und es gibt dann schnelle, durchgehende Verbindungen ohne Halt in Stuttgart Hbf. Ich mein, was bitte schön hat dieses Nest im Kessel denn schon zu bieten? Nichts, außer der eigenen Einbildung. Wer kennt den Spruch: „Aus Stuttgart ist noch nicht (et)was rechtes (anständiges) gekommen!“ Das halten wir im Oberland von euch Helden in der Landeshauptstadt, die es schafft die Landesregierung wegen eines Bahnhofs zu blockieren. Die Herren in der Villa Reitzenstein sollen sich mal lieber um andere, wichtigere Dinge kümmern.

  6. Zwuckelmann schreibt:

    @exilschwabe: Sie verkürzen und werden der Sache damit nicht gerecht.Nein, die Welt ist nicht schlecht;ja, die Bahn verarscht;ja, die Polizei versucht zu kriminalisieren, aber ich komme gut mit ihr zurecht und habe nichts gegen sie, denn sie tut auch nur ihren Job;ja, die Presse plappert leider wirklich nach (dies nun auch in der FAZ nachzulesen: http://www.faz.net/artikel/C30351/stuttgart-21-der-groessenwahn-der-bahn-3045… />die Politik lügt nicht – aber natürlich verfolgt die Bundesregierung ihre ganz eigenen Interessen gerade gegen eine Grün-Rote Landesregierung, wer das leugnet, wäre dumm.Ein Kartell für S21 existiert nicht, aber die Interessenlagen führen dazu, dass Widerstand in der Tat schwierig ist.Nichts anderes versuchte ich, zu sagen. Und nein, edel oder besonders fühle ich mich ganz sicher nicht, aber für dumm verkaufen lasse ich mich eben auch nicht. Und natürlich geht es „nur“ um einen Bahnhof, aber ich lebe genau hinter dem Schlossgarten, habe kein Auto und fahre täglich mit der chaotischen Bahn, da ist die Betroffenheit sicher eine andere als von Ihnen, der Sie offenbar im Exil irgendwo leben. Und abschließend: Sie kennen meine Ecke doch gar nicht! Verbohrt ist sie ganz sicher nicht, ganz im Gegenteil finde ich meine Ecke hübsch bunt, abwechslungsreich und spannend

  7. Zwuckelmann schreibt:

    Hm, also ich finde, dass ich mit dieser Situation recht entspannt und locker umgehe. Ich finde eher Ihre Kommentare, @Oberschwabe und @Exilschwabe, ziemlich motzig und unsachlich. Warum regen Sie sich so auf, wo Sie sich doch offenbar auf der „Gewinnerseite“ wähnen? Und @Oberschwabe, das ist ja genau das Problem: wir wollen den Bahnhof nicht, aber man will ihn uns dennoch bauen!Was ich in der Tat aber mag, ist, unbequem zu sein. Und Ihren Kommentaren nach zu urteilen, gelingt mir das ja auch 😉

  8. exilschwabe schreibt:

    Mein erster Kommentar entspricht dem Gesamteindruck nach durchscrollen durch den blog. Von wegen „entspannt und locker“. Aber schön wenn´s Dir Spass macht. Unbequem zu sein, nur um Spass zu haben => Querulant. In dieser Ecke scheint der Protest jetzt zu landen, wenn man in der Presse liest. Aber die plappert ja nur nach…..Wem eigentlich? Doch wohl auch den Her(r)männern?Die Photos vom zerstörten truck habe ich gesehen, und ich weis was der kostet. Da hat die Polizei und die plappernde Presse mit ihrer Schadenschätzung recht. Vielleicht ja sonst auch, die können sich doch nicht mit allen Beteiligten heimlich abgesprochen haben und alle(!) mit ihren „Lügen“ dicht halten. Dazu gibts zu viel Beteiligte.Da gibts auch ne „parkschützer“ homepage, auf der früher mal „volle Transparenz“ gefordert wurde. Jetzt heißts plötzlich „keine videos reinstellen“. Weil einige „Spass hatten“?Also auch mal einen Schritt zurücktreten und die Gesamtlage checken. Dann findet man sicher auch positive Seiten an dem Umbau, und auch Mist beim Protest. Dann wird der blog auch ein bisschen glaubwürdiger.Ich schau in einigen Wochen nochmal rein. Weiter viel Spass!

  9. Zwuckelmann schreibt:

    @exilschwabe: keiner zwingt Sie, hier zu lesen.Wo habe ich gesagt, dass ich unbequem bin, um Spaß zu haben? Mir ist es sehr ernst mit meinem Protest, das können Sie mir glauben! Aber ich versuche dabei, gelassen und entspannt zu bleiben – ja, und auch da und dort Spaß zu haben.Die Presse plappert ganz sicher nicht dem Hermann nach, sondern verdreht seine Aussagen in unanständiger Weise. Ein Truck kostet keine 1,5 Mio. Es ist doch eine richtige Reaktion, dass man der Polizei nicht noch mehr hilft, als wir das eh schon durch unsere Fotos tun, indem wir einzelne Personen bloßstellen? Das tut die Polizei ja auch nicht, sondern schützt ihre Leute. Was die z.B. zum 30.09. gezeigt hat, war mehr als geschönt und natürlich einseitig-Ja, es gibt durchaus positive Seiten am geplanten Umbau und ich heiße, wie sie vielleicht auch gelesen haben, wahrlich nicht alles an unserem Protest gut. Ich habe mir kürzlich das Buch „Oben leben“ vom Befürworter Lutz Aichele besorgt und gelesen, um zu versuchen, meine vielleicht einseitige Meinung doch etwas zu relativieren. Dabei stellte ich aber nur fest, dass ich schon eine recht relative, aber gut begründete Meinung zur Situation hier habe.Ob Sie mich und meinen Blog nun für glaubwürdig halten oder nicht, ist hingegen allein ihre Sache. Ich freue mich so oder so darauf, wenn Sie in einigen Wochen wieder vorbeischauen!

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