Deutsche Kinder brauchen intakte Familie – geflüchtete Kinder offenbar nicht

Die Mühlen der deutschen Verwaltung mahlen langsam. Aber sie mahlen – immerhin und im positiven Unterschied zu manch anderem Land. Und weil Verwaltungsangelegenheiten meist eine gewisse Zeit brauchen, hat es sich eingebürgert, das Antragsdatum als relevantes Datum anzusehen, so dass der Antragsteller keinen direkten Nachteil erleidet, wenn es dann doch mal etwas länger dauert, bis sein Antrag bearbeitet und entschieden ist.

Minderjährige anerkannte Geflüchtete haben die Möglichkeit und das Recht, ihre Eltern nach Deutschland nachkommen zu lassen. Man kann über dieses Recht des Familiennachzugs streiten, es ist aber geltendes Recht und deshalb verbindlich. Und wenn in Deutschland und bevorzugt im Zusammenhang mit deutschen Kindern immerzu gemahnt wird, wie wichtig für Kinder die Eltern und ein intaktes Elternhaus sei, ist es nur folgerichtig, dass auch minderjährige Kinder, die nach Deutschland flüchten, ein Anrecht auf ein Zusammenleben mit ihrer Familie haben. Familien zum Vorwurf zu machen, dass sie dieses Recht nutzen möchten, ist nicht lauter. Die Nutzung geltenden Rechts ist niemandem zum Vorwurf zu machen. Schließlich haben wir genau dafür detaillierte Gesetze.

Bei der Anerkennung von Geflüchteten mahlen die Mühlen oft langsam – und einen kann das ungute Gefühl beschleichen, dass die Mühlen besonders langsam mahlen, wenn 16- oder 17-jährige Geflüchtete einen Antrag auf Asyl stellen. Denn einen Antrag auf Familiennachzug kann nur stellen, wer als Minderjähriger einen Aufenthaltstitel hat, mithin also als Geflüchteter anerkannt ist und sich in Deutschland rechtmäßig aufhalten darf. Eine Duldung reicht für den Familiennachzug nicht aus.

Gängige Praxis ist in Deutschland, dass Geflüchtete, die minderjährig nach Deutschland kommen und während des Asylverfahrens volljährig werden, nach ihrer Anerkennung keinen Antrag mehr auf Familiennachzug stellen können. Sie sind dann schließlich volljährig. In diesem Fall ist die Schnelligkeit, mit der die Mühlen der Verwaltung mahlen, für den Antragsteller kritisch – hat er Glück und es geht schnell, können die Eltern nachkommen, dauert das Verfahren zu lange, hat die Familie eben Pech gehabt. Diese gängige Praxis öffnet politischer Einflussnahme Tür und Tor. Will man den Zuzug von Flüchtlingen vermindern und will mal den Familiennachzug verringern, ist ein wirksames Mittel, Asylanträge von Minderjährigen einfach so lange nicht zu entscheiden, bis diese volljährig sind. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass bestimmte Akten immer wieder unter den Aktenstapel wandern und erst entschieden werden, wenn der Antragsteller volljährig ist.

Gegen diese Praxis, die so auch in den Niederlanden galt, wurde geklagt. Der Europäische Gerichtshof hat bereits vor einem Jahr entschieden, dass volljährige Geflüchtete, die minderjährig nach Europa gekommen sind und die während des Asylverfahrens volljährig geworden sind, für die Entscheidung auf Familiennachzug wie Minderjährige zu behandeln sind – dass also für die Ausübung des Rechts auf Familiennachzug das Antragsdatum des Asylantrags gilt. Diese Regelung führt dazu, dass der Antragsteller keinen Schaden davon hat, wenn Verwaltungsakte lange dauern oder gar bewusst hinausgezögert werden und dass Rechtsansprüche nicht durch politische Willkür ausgehebelt werden können – eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Leider weigert sich Deutschland, dieses Urteil umzusetzen mit der Begründung, dass in Deutschland die Rechtslage eine andere wäre. Es mag wohl sein, dass es Unterschiede zu dem holländischen Verwaltungsakt gab und gibt, an der grundsätzlichen Parallele, dass die Dauer des Verwaltungsaktes darüber entscheidet, ob ein Folgeantrag gestellt werden kann oder nicht, ändert das aber nichts. Dem Autor sind allein vier Fälle bekannt, in denen sich die Asylverfahren von minderjährigen Jugendlichen über mehrere Jahre (!) hingezogen haben. Drei wurden inzwischen positiv entschieden – allerdings immer erst dann, wenn der Jugendliche volljährig war. Ein vierter Jugendlicher, der inzwischen ziemlich perfekt Deutsch spricht, weil er bereits seit über drei Jahren die Schule in Deutschland besucht, wartet noch immer auf seine Anerkennung. Nachdem er nun 18 geworden ist, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis er seinen Aufenthaltstitel erhält.

Familiennachzug ist für jeden dieser Jugendlichen aktuell ausgeschlossen. Kein Antrag hätte Aussicht auf Erfolg, da die Antragsteller inzwischen volljährig sind. Diese Praxis verstößt aber gegen Europäische Rechtsprechung! Leider spielt die bundesdeutsche Politik hier auf Zeit mit ihrer Weigerung, dieses Urteil umzusetzen. Den Schaden haben gerade diejenigen, die unserer Hilfe am meisten bedürfen. Auf diesen, oft auch traumatisierten, Kindern lastet ein enormer Druck. Meistens flüchten ältere Kinder und Jugendliche als erstes. Zum einen natürlich, weil für Eltern die Sicherheit und das Wohlergehen gerade ihrer Kinder das wichtigste ist; Dann natürlich auch, weil Jugendliche zäh und kräftig genug sind, die Strapazen einer Flucht zu überstehen; Und schließlich natürlich auch, weil die Familie die bange Hoffnung hegt, vielleicht doch nachkommen zu können, wenn es denn irgendwie möglich ist. Der Druck wird für die Jugendlichen vielleicht etwas weniger durch die deutsche Verfahrenspraxis, denn mit 18 können sie aktuell gar nichts tun für den Familiennachzug. Aber das bedrückende Gefühl versagt zu haben und nichts mehr für die eigene Familie tun zu können, und die Gewissheit, alleine und ohne Eltern in Deutschland leben zu müssen, das bleibt und bohrt – und erschwert erheblich eine gute Integration eben genau dieser Kinder. Willkommen in Deutschland!

Weitere Informationen hierzu gibt es beim Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) unter https://us3.campaign-archive.com/?u=d48ab366897e2584986f8dec0&id=4542b9c793

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