Kuhns Geschwätz von gestern

Enttäuscht bin ich nicht. Er hat vielmehr meine Erwartungen voll erfüllt. Gestern zeigte sich, dass OB Fritz Kuhn seinen Oberbürgermeistersessel eben doch nur als Vorruhestandssitz und Versorgungsposten ansieht und ihn auch nur in dieser Form ausfüllt. Vor wenigen Tagen ist er 60 Jahre alt geworden, bis zum Ende seiner Regentschaft hat er das Pensionsalter erreicht. Verkämpfen muss er sich nicht mehr – und er tut es auch nicht. Im Gegenteil wirft er – ja, man muss es schon so ausdrücken – in inzwischen guter grüner Tradition (zumindest in Baden-Württemberg) nicht nur Wahlversprechen über Bord, sondern auch seine kritische Haltung zu dem ein oder anderen Thema. Ganz nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Einen blasseren Oberbürgermeister hat die Stadt selten gesehen.

Jeder wusste, dass Kuhn Stuttgart 21 als OB nicht stoppen würde, selbst wenn er es vielleicht könnte. Zumindest hätte er genauso wie Kretschmann kritischer Sand im Getriebe sein können, wie zumindest als Wahlversprechen von beiden vollmundig verkündet. Doch er zog wie Kretschman das geschmeidige, schmierige Öl dem knirschenden Sand vor. Dass er als Mitglied einer Partei, die sich in Baden-Württemberg eine „Politik des Gehörtwerdens“ auf die Fahne geschrieben hat, nicht einmal dafür stimmt, dass die Vertrauensleute der Bürgerbegehren im Gemeinderat reden dürfen, ist schon ein dicker Hund. Wenn man den Bürgern das Reden verwehrt, kann man auch nichts hören – schöne grüne Regierungslogik.

Aus Sand wird Öl, aus Kritik wird Opportunismus, aus Aktion wird Reaktion. Dieser Wandel, der in Deutschland nahezu immer mit der Erlangung der Macht einhergeht, ist schon frappant. Dass dieser Mechanismus für deutsche Politiker schon selbstverständlich ist und mit der Entscheidung zu einer Politikerkarriere offensichtlich internalisiert wird, zeigt sich aktuell in den Reaktionen der deutschen Politiker auf die griechische Regierung. Verwundert reiben die sich die Augen, wie eine Regierungspartei ihre Macht so aufs Spiel setzen kann. Die geplante Volksabstimmung ist natürlich auch eine Abstimmung über die Regierung selbst. Das weiß die griechische Regierung – und hat dennoch diesen Weg gewählt. Wenn die griechische Bevölkerung diesen Regierungskurs nicht mehr mitträgt, wird sich Syriza kaum mehr an der Macht halten können. Varoufakis hat bereits angekündigt, bei einem „Ja“ zurückzutreten. Diese konsequente Haltung war für viele deutsche Politiker ganz erstaunlich. Dass eine Regierung nicht einknickt, um an der Macht zu bleiben und „gestalten zu können“, sondern mit durchgedrücktem Rücken ihrer Linie treu bleibt auch auf die Gefahr hin, danach die Macht zu verlieren – undenkbar! Tsipras und Varoufakis geht es um die Sache, um Griechenland, nicht um Machterhalt um jeden Preis. Deutschen Politikern jedweder Couleur würde es gut zu Gesicht stehen, sich von dieser Haltung nur eine klitzekleine Scheibe abzuschneiden.

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Eine Antwort zu Kuhns Geschwätz von gestern

  1. peter grohmann schreibt:

    Klarte Worte, danke

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