Demokratielabor Stuttgart

Wenige Stunden sind es noch, bis Fritz Kuhn zum neuen Oberbürgermeister von Stuttgart ernannt wird. Dann sitzt ein Grüner dem Gemeinderat vor und ein Grüner leitet dann die Stadtverwaltung. In den Zeitungen klingt das wie eine Zeitenwende. Als wäre es eine kleine Revolution, dass ein grüner Politiker eine Großstadt in Deutschland regiert.

Wir, die Stuttgarter Bürger, haben leidlich Erfahrung mit grüner Regierungspolitik im Land, mit grünen Wahlversprechen und grüner Regierungsrealität. Die Grünen sind beileibe keine Revoluzzer, ihre Politik knüpft vielmehr dort an, wo 60 Jahre CDU-Regierung aufhörte. Unterschiede gibt es wenn überhaupt nur graduell.

Und so wird es wohl auch in der Stadt sein. Demokratische Wahlen sind immer Kompromisse und so ist auch Fritz Kuhn ein demokratischer Kompromiss, das kleinere Übel, der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich eine Mehrheit der Stuttgarter Bürger einigen konnte. Die Wünsche an Fritz Kuhn sind groß, und er könnte, wenn er wollte, viel gestalten. Die realistischen Erwartungen an ihn sind jedoch durch die Erfahrungen im Land eher gering. Es wäre schon ein Erfolg, wenn die Bürger überhaupt bemerken würden, dass nun Grün statt Schwarz im Rathaus regiert.

Weder die Wahl Kretschmanns noch die Wahl Kuhns sind Revolutionen oder Zeitenwenden. Dazu sind die Grünen in Baden-Württemberg eine viel zu arrivierte, ja viel zu konservative Partei. Diese Wahlen sind vielmehr in einem größeren Zusammenhang zu lesen, und das ist das eigentlich Bemerkenswerte. Denn ein Hauch von Veränderung weht durch Stuttgart, der Wunsch nach Neuem. Für viele Stuttgarter ist die Wahl von grünen Politikern bereits eine Veränderung, eine phänomenale Neuerung. Aber das ist nicht alles – und wer diese Entwicklung auf diese Wahlen reduziert, springt zu kurz. Es gibt Stuttgarter, die weiter gehen wollen, denen es nicht ausreicht, die Farbe zu wechseln und sich dasselbe in Grün anzusehen. Noch ist es eine Minderheit, die offen Kritik übt an den Verhältnissen, an der Vereinnahmungspolitik, an der lobbygetriebenen Scheindemokratie, die noch immer egoistische Wirtschaftsinteressen Weniger über die vitalen Bürgerinteressen Vieler stellt. Selbst die kleine, überschaubare Stadtpolitik Stuttgarts ist diesem neo-liberalen Zeitgeist erlegen.

Städtische Entwicklungen, wie sie in diesem Kontext-Artikel geschildert werden, sind nicht gut und tun unserer Stadt und uns Bürgern nicht gut. Um etwas zu verändern, reicht es aber nicht mehr aus, alle paar Jahre wählen zu gehen. Die gewählten Vertreter jeglicher Couleur stecken viel zu tief selbst im Sumpf der Interessenvertretungen und Abhängigkeiten, als dass sie überhaupt noch fähig wären, den Willen der Bürger zu erkennen geschweige denn ihn offensiv zu vertreten. In Wahlen allein kann, darf und wird sich Bürgerbeteiligung zukünftig nicht mehr erschöpfen!

Eine erste interessante Initiative gibt es bereits, die dazu einlädt, „Stuttgart selber (zu) machen„. Am 19.01.2013 von 11 bis 17 Uhr treffen sich interessierte Bürgerinnen und Bürger im Rathaus, um darüber zu sprechen, wie sie ihr Recht auf Stadt zurück erobern können, wie sie neben dem Gemeinderat und sonstigen Vertretungen alternative demokratische Wege finden, sich ihrer gemeinsamen Interessen bewusst zu werden, diese zu bündeln und zu kommunizieren. Dieser Gründungskonvent zum BürgerInnen-Parlament ist dabei keine Konkurrenzveranstaltung zum Gemeinderat oder zu sonstigen (pseudo-)demokratischen Gremien. Es geht vielmehr darum, sich den Begriff „Parlament“ als diskursive Bürgervertretung zurück zu erobern und so mit Leben zu füllen, dass es diesen Begriff verdient. Das Ergebnis ist offen, wird sich aber nicht in Forderungskatalogen erstrecken, sondern in tragfähigen, realisierbaren Entscheidungen, wenn es nach den Initiatoren geht.

Viele werden jetzt meinen, dass diese Veranstaltung nur ein weiterer Versuch von spinnerten Stuttgart21-Gegnern sei, Stuttgart21 zu torpedieren. Darum geht es aber gar nicht. Es geht vielmehr darum, dass es zukünftig nicht mehr möglich sein darf, solche Projekte am Bürger vorbei zu beschließen oder Bürgereigentum zur Stabilisierung des Haushalts zu versilbern oder sich  mit Steuergeldern auf finanzielle Achterbahnfahrten zu begeben. Dies alles darf nicht mehr alleine durch die den Bürgern nicht mehr loyale „Bürgervertreter“ entschieden werden. Wir sehen ja, wohin das führt. Es bedarf unbedingt eines demokratischen Korrektivs. Wie dieses aussehen könnte, dazu dient der geplante Bürgerkonvent. Ich jedenfalls bin gespannt, was dieses Demokratieexperiment anstößt.

Oben bleiben!

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47 Antworten zu Demokratielabor Stuttgart

  1. Dr. H. Fiechtner schreibt:

    Sehr geehrter Herr Zwuckelmann,
    zuweilen schreiben Sie sogar so, daß ich es ohne Magengrimmen lesen kann. Mit klammheimlicher Freude notiere ich den unüberhörbaren Defaitismus im Hinblick auf die zu erwartenden „Erfolge“ einer „grünen“ Politik. Ich gehöre sicherlich zu den letzten, die eine gouvernantenhaften, den Bürgern in vielen Belangen einengenden Politik das Wort rede, von daher sind mir die rot-grünen Politikkonzepte ein Greuel. Aber ich habe größtes Verständnis dafür, wenn der Anmaßung der Politik samt der darin agierenden Politiker Paroli geboten wird. Allerdings ist klar, daß Ihr Konzept und das des hier propagierten „Konventes“ einen Systembruch bedeutet. Dem kann ich so lange etwas abgewinnen, wie die Freiheitsrechte des Individuums nicht einem vermeintlich größeren Interesse einer wie auch immer gearteten Mehrheit weichen muß. Wo der „Staat“ sich des Geldes oder des Vermögens der Bürger bedient, sollte in der Tat zukünftig (!) der Bürger entscheiden. Die Schweiz ist hier ein gutes Vorbild.
    Weiterbauen!
    Ihr Dr. H. Fiechtner (Befürworter von S21)

    • Hans Hagen schreibt:

      Die ideologische Ausrichtung dieses Vereins ist doch schon wieder vorgegeben – es wird dort auch gar nicht um Demokratie gehen, sondern -täglich grüßt das Murmeltier- um Autokratie.
      Leider wissen „die Freunde des Kopfbahnhofs“ doch gar nicht, was Demokratie überhaupt ist, ggf. wussten einige es ja mal, haben dies aber längst verdrängt oder vergessen.

      Ein selbsternannter „eliterer“ Zirkel selbsternannter Besserwisser / „Informierter“ will sich aufschwingen, seine Vorstellungen von Demokratie ( wer am lautesten ist / am meisten redet / von sich am meisten überzeugt ist ) hat recht, alle gewählten Politiker sind korrupt, korrumpiert und pflichtvergessen, nur wer für die wahre Lehre eintritt, ist geeignet, den „Dummbürger“ auf den rechten Weg zu bringen und anzuleiten.

      • zwuckelmann schreibt:

        Hans, woher nehmen Sie nur all diese Informationen her? Kennen Sie die Veranstalter? Haben Sie mit ihnen gesprochen? Sie können ein ausgesprochener „Keintologe“ sein, der mit pauschalen, nicht fundierten Annahmen jegliche Ansätze von Veränderung ablehnt. Wie kann das bei Ihnen sein, der Sie doch so allwissend und perfekt informiert tun?

    • Hans Hagen schreibt:

      Zwuckelmann:
      Es genügt doch ein Blick hinter die Kulissen.
      Sitz der Initiative: Urbanstr. 49A, 70182 Stuttgart (Büro des Umkehrbar e.V.)
      „offizieller“ Gruß : oben bleiben!

      Inhaltlich Verantwortliche gem. § 55 II RStV
      Andrea Schmidt, Doris Steidle, Karl Braig, Katharine Ertl, Mike Pflugrath, Peter Gruber, Uli Stübler

      Das ist also lediglich ein weiterer Lobbyverein der Parkschützer, welcher das kritisiert, was er selbst betreibt.

      • zwuckelmann schreibt:

        Sie meinen also, nur weil man sich mit gutem Grund gegen S21 engagiert, hätte man nichts anderes im Kopf? Was macht die S21-Gegner aus Ihrer Sicht zu Autokraten, die unter dem Deckmäntelchen der Demokratie ganz andere, undemokratische Ziele verfolgten? Woran machen Sie das fest? Allein die Adresse des PS-Büros sagt doch nichts über Ziele und Inhalte jenseits von S21 aus? Auch die von Ihnen aufgezählten Namen sind meines Wissens in keiner weise verdächtig. Was stört Sie wirklich an dieser Veranstaltung? Sie machen polemisch und vollkommen willkürlich und unfundiert Stimmung dagegen, als ginge es um das Ende der Welt. Ach, vielleicht bedeutet es tatsächlich das Ende Ihrer Welt, das würde ich verstehen. Nochmals: kommen Sie doch dorthin, dann könnten wir uns auch einmal persönlich kennenlernen. Und Sie könnten sich mit all Ihrer Pauschalkritik dort einbringen. Die Einladung zu diesem Konvent richtet sich auch an Sie.

      • Ihr werter Guller schreibt:

        Und ewig klingt die gleiche Leier. Die Bahnsprechautomaten können nicht anders.
        Wenn sie einmal programmiert sind, wiederholen sie unablässig.
        Da sind mir doch die Menschen lieber , die hinter die Kulissen des Bahntheaters blicken und ungläubig den Kopf schütteln. Bahnautomat „Hagen“ schießt einen Bock nach dem anderen.

  2. Ihr werter Guller schreibt:

    Ein alter Kämpe, der viele kalte Nächte in Zelten auf den Truppenübungsplätzen dieser Republik
    zubrachte meldet sich zurück . Die Zelte, Wohnsitzlose die Demos am Bahnhof sind Vergangenheit. Gegenwart ist eine Regierung die von „Grün“ geleitet wird ! Übrigens wird Stuttgart auch seit neuestem von einem grünen Oberbürgermeister in die Zukunft geführt.
    Inzwischen weiß ich auch um die Bedeutung von „korrelieren“ und das Lied „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ fällt mir immer wieder ein. DAs letztere in Verbindung mit ihrem Namen.
    Baustopp – Oben bleiben ist die Devise der Vernunft, des Verstandes und im Sinne des Steuerzahlers!
    Ihr werter Guller- Ober- Leutnant a.D.

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