26.7.2012 „Das Thema“ und die OB-Kandidaten #csd-stuttgart #csd

Gestern abend waren die OB-Kandidaten vom IG CSD e.V., dem Trägerverein des CSD in Stuttgart, ins Wilhelmspalais eingeladen, um dort Schwulen und Lesben Rede und Antwort zu stehen. Trotz des wunderbaren Sommerabends war der Saal überfüllt, so dass viele Leute rund herum an den Wänden stehen musten.

Die Diskussion mit Wilhelm, Turner, Hermann, Kuhn, Loewe und Rockenbauch wurde von Jörg Dinkel vom SWR geleitet und war gut und interessant. Sie führte die Kandidaten immer wieder durch diverse Fettnäpfchen der politischen Korrektheit oder knapp an ihnen vorbei und brachte erstaunliche Wortschöpfungen zu Tage (Kuhn beispielsweise sprach häufiger von „Lesbophobie“). Natürlich ist Homosexualität für keinen der Kandidaten persönlich ein Problem, an der Art und Weise, wie sie über „das Thema“ gesprochen haben, konnte man jedoch einige interessante Einblicke gewinnen. 

Frau Wilhelm sprach in der Tat immerzu von „dem Thema“ und meinte damit gleichgeschlechtliche Liebe. Sie bezog viele ihrer Stellungnahmen auf ihre Zeit, in der sie in Ludwigsburg Gleichstellungsbeauftragte gewesen ist und eine Veranstaltungsreihe zu lesbischen Lebensformen veranstaltet hatte. Sie sprach bei der Frage, wie man als Arbeitgeber Stadt der Diskriminierung von Schwulen und Lesben begegnen möchte, von einer Doppelstrategie und von der Verankerung einer offenen Herangehensweise an „das Thema“ von oben nach unten und von unten nach oben, blieb aber mit ihren Vorschlägen im Ungefähren und auf einer sehr theoretischen Ebene.

Herr Turner sprach darüber, dass er als Unternehmenslenker auch eine Stadt gut lenken könne. In Turners Unternehmen sei Homosexualität nie ein Problem gewesen. Wenn das „jemand zur Schau stellen wollte“, konnte er das immer tun. Für ihn seien homosexuelle Lebensweisen immer normal gewesen, denn immerhin wären bei Scholz & Friends 1/3 der Mitarbeiter homosexuell. Man müsse der Wirtschaft klar machen, dass es von Vorteil sei, Homosexuelle einzustellen. Und schließlich verstieg er sich im Lob, dass die CDU mit Kaufmann und Kotz doch an prominenter Stelle zwei offen schwule Führungskräfte sitzen hätte und deshalb als schwulenfreundlich und fortschrittlich angesehen werden müsse. Die Krönung seiner Aussagen war aber ohne jeden Zweifel, dass OB Schuster einer der offensten und homosexuelle Lebensweisen stark unterstützenden OB in Deutschland sei. Turner sah den gesamten Abend sehr arrogant und gelangweilt aus, schien abwesend, sprach aber gleichzeitig von Offenheit. Dass sich Arroganz und Offenheit nur schlecht vertragen, ist ihm offenbar nicht bewusst. Mut gab jedenfalls, dass Turner insgesamt am wenigsten und verhaltensten Applaus bekam.

Bei Herrn Hermann wurde deutlich, dass er sich, wie er selbst sagte, intensiv mit Computern beschäftigt und offenbar weniger mit Menschen. Seine Aussagen waren teilweise recht verschwurbelt und blieben am unkonkretesten von allen. Er erhofft sich, durch Sympathien den Piraten gegenüber doch einige Stimmen zu erhalten. Als Person halte ich ihn für komplett ungeeignet für das Amt des OB.

Fritz Kuhn erhielt viel Applaus, wobei sich die anfängliche fast schon Euphorie über den Abend hinweg nicht hielt, sondern sichtbar abebbte. Fritz Kuhn möchte vor allem das Amt für individuelle Gleichstellung, das als Stabstelle direkt dem OB angegliedert ist, mit weitreichenderen Durchgriffsrechten ausstatten. Außerdem will er natürlich Projekte und Angebote für Schwule und Lesben fördern, das Geld müsse allerdings erst erwirtschaftet werden. Was er damit implizit sagte, war, dass es zwar schön wäre, wenn man das Geld für Förderungen hätte, dass es aber Dank klammer Kassen wohl nichts geben wird. Auch er blieb im Theoretischen verhaftet und wurde selten konkret.

Hannes Rockenbauch wurde am konkretesten von allen. Er stellte Turner und WIlhelm ziemlich bloß, indem er von der gestrigen Gemeinderatssitzung erzählte. Dort ging es um neue Förderrichtlinien der Stadt für Bildungseinrichtungen. Die Schulhäuser sollten nur dann Geld von der Stadt erhalten, wenn sie sicherstellten, dass Religion, Herkunft, Geschlecht und wirtschaftlicher Hintergrund keine Rolle bei Entscheidungen der Einrichtungen spielen würden. Der Zusatz „sexuelle Orientierung“ wurde auf Betreiben der SPD/CDU/FDP-Fraktion gestrichen. Dies seien eben die kleinen Beispiele für noch immer vorhandene Diskriminierungen, die es gelte zu verhindern. Generell machte er eine gute Figur, indem er konkret über Probleme und Sachlagen in Stuttgart aus Gemeinderatssicht, aber auch als studierter Stadtplaner sprechen konnte. Das machte ihn am glaubwürdigsten von allen Kandidaten. Auch bei der Finanzierung von Fördermaßnahmen von schwul-lesbischen Initiativen wurde er konkret und meinte, dass es genügend Streichpotenziale gäbe, wo die Stadt falsch priorisierte und fehlgeleitete Investitionen getätigt hätte. Sei es Stuttgart21, sei es die LBBW, sei es der sechsspurige Ausbau der Heilbronner Straße.

Fritz Kuhn wollte das nicht gelten lassen. Auch er sei ja im Prinzip gegen Stuttgart21, allerdings sei es nicht nachhaltig, Projekte und Einrichtungen der Stadt durch einmalige Streichungen an den genannten Investitionen finanzieren zu wollen. Konkrete Aussagen dazu, wie er sie finanzieren wollte, blieb er jedoch schuldig und meinte, derartige Gelder müssten erst erwirtschaftet werden. Dieses Ungefähre hat das Publikum gespürt und ihn merklich Sympathien gekostet.

Jens Loewe schließlich kam äußerst sympathisch rüber und hat klug gesprochen. Inhaltlich stimmte er weitgehend mit Rockenbauch überein und bezog sich oft auf ihn. Doch auch seine Ausführungen waren teilweise zu theoretisch und zu abstrakt. 

Am Schluss wurde lange über das Hotel Silber diskutiert. Alle waren sich einig, dass in diesem Gedenk- und Lernort das Thema Schwulenverfolgung einen separaten Platz erhalten und aufgearbeitet werden müsste – und das nicht nur zur Zeit vor 1945, sondern weit darüber hinaus, denn immerhin wurde der §175, der Homosexualität unter Strafe stellte, gänzlich erst 1994 gestrichen. Dass es diesen Ort, wäre es nach CDU, FDP und SPD gegangen, gar nicht mehr geben würde, wurde schließlich von Hannes Rockenbauch richtigerweise thematisiert, nachdem alle Beteiligten so taten, als wäre der Erhalt des Hotel Silber eine Selbstverständlichkeit gewesen. Denn nur durch unnachgiebiges bürgerschaftliches Engagement konnte dieses Gebäude, das andernfalls Investoreninteressen zum Opfer gefallen wäre, gerettet werden.

Was bleibt? Turner ist unwählbar, Hermann ist blass, Wilhelm und Loewe verbleiben zu sehr im Ungefähren, Kuhn drückt sich als typischer Vollblutpolitiker um konkrete Antworten. Wie nicht anders zu erwarten, fand ich auch bei dieser interessanten Diskussion Hannes Rockenbauch am überzeugendsten und konkretesten.

Und auch hier gilt: oben bleiben!

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2 Antworten zu 26.7.2012 „Das Thema“ und die OB-Kandidaten #csd-stuttgart #csd

  1. planb schreibt:

    Lieber Zwuckel, hier noch mein Senf zu der Sache:Erst mal vielen Dank für den tollen Bericht, den ich weitgehenst unterschreiben kann. Protokollierst Du eigentlich in so einer Situation? Wäre mir zu stressig, ist aber natürlich toll für solche Berichte.“Lesbophobie“ ist korrekt aber wenig gebräuchlich. Die Lesben werden es aber wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Kuhn hat sich da gut briefen lassen.Frau Wilhelm ist vielleicht sprachlich etwas theoretisch gewesen, aber sie konnte mit Ihrer Arbeit als Frauenbeauftragte in Lubu punkten. Sie hat ja auch schon ganz praktisch Veranstaltungen zum Thema 😉 gemacht. Das ist positiv angekommen (wurde mir nachher im privaten Gespräch erzählt). Sie wäre eine ganz passable OB, wenn wir nicht S21 in Stuttgart hätten.Erwartungsgemäß hat mir Hannes am besten gefallen. Ich fand es toll, wie er viele positiv überrascht hat (auch das wurde danach erzählt), haben sich wohl bisher nicht näher mit ihm beschäftigt, bzw. kannten nur das mediale Bild des Rebellen. Und das Turner wirklich einen schweren Stand hatte, war super. 🙂

  2. Garfunkel19 schreibt:

    Bei Turner merkt man nicht, daß er sich in Stuttgart bewirbt, könnte auch jede andere Stadt sein….! Kuhn ist halt Berufspolitiker. Und bei Wilhelm muß ich wiedersprechen: die Organisation von Veranstaltungen (die sie sicherlich nicht alleine sondern dank diverser fleißiger Frauen im Rathau organisiert hat!) reicht alleine nicht, für Stuttgart ungeeignet, nach dem was man so von anderen Städten hört, man kann die Leute auch wegloben….Für Hannes R. freut mich, daß er über sein Image springen kann und sachlich punkten kann.

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