20.7.2012 Zur Causa Palmer eine Anmerkung #s21

Gestern veröffentlichte Boris Palmer auf Facebook ein kurzes Statement „Zur Causa Richter“. Er meint offensichtlich die „Causa Reicherter“, spricht aber immerzu von „Richter“. Neben dieser nicht ganz nebensächlichen Schludrigkeit geht es ihm jedoch darum, die Hausdurchsuchung bei Richter a.D. Reicherter zu rechtfertigen. „Wenn die Justiz Menschen verfolgt, deren Vergehen politischer Protest ist, regt das auf.“ Dieses richtige Statement relativiert Palmer fix wieder, indem er versucht, zu belegen, dass in diesem Fall bezüglich der Empörung die „Maßstäbe verloren“ gegangen wären und eigentlich alles doch nur halb so wild wäre.

Im ersten Argument versucht er, den Vorwurf zu entkräften, dass sich unter Kretschmann zumindest in der Überwachung und Verfolgung der Stuttgart21-Gegner nichts geändert hätte. Er meint, dadurch dass Kretschmann von der Hausdurchsuchung nichts gewusst habe und auch keinen Einfluss darauf genommen habe, trage er dafür keine Verantwortung. Dies unterscheide ihn eben fundamental von Mappus, den Palmer alleinverantwortlich für den 30.09. abstempelt. Meines Erachtens macht es sich Palmer hier etwas zu einfach. Denn Kretschmann hat natürlich Verantwortung dafür, was unter seiner Regierung passiert. Dass die Verfolgung und Überwachung der S21-Gegner nicht eingeschränkt wurde, sondern mit genau denselben harten Bandagen gegen uns vorgegangen wird, wie unter Mappus, ist allein ihm und seinen Ministern anzulasten! Natürlich wäre es möglich, Herrn Häußler als OStA abzulösen, natürlich wäre es möglich, der Polizei eine andere Gangart nahezulegen … es wäre gerade in diesem Bereich sehr viel möglich, wenn man es politische nur wollte. Doch leider müssen wir sehen und fühlen, dass Kretschmann sich hier eben nicht von seinem Vorgänger unterscheidet und auch unter seiner Regierung mit allen Mitteln versucht wird, den Protest zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Entgegen Palmers Aussage entbindet Nichtwissen Herrn Kretschmann eben nicht von seiner Verantwortung!

Das zweite Argument zielt darauf ab, dass die Hausdurchsuchung nur deshalb durchgeführt wurde, um undichte Stellen im Sicherheitsapparat ausfindig zu machen, also eigentlich eine rein interne Angelegenheit sei, die nichts mit S21 zu tun hätte. Palmer übersieht, dass es gar nicht darum geht, warum hier durchsucht wurde, sondern dass überhaupt durchsucht wurde und  um die Art und Weise, wie durchsucht wurde. Weit weniger skandalös wäre es gewesen, hätte man Reicherter aufgefordert, Unterlagen herauszugeben. Auch eine Hausdurchsuchung in seiner Anwesenheit wäre möglich gewesen. Beides ist nicht geschehen. Das Empörende an dieser „Causa“ ist, dass hier erneut juristisch fragwürdige Nacht- und Nebelaktionen durchgeführt werden und Gegner von Stuttgart21, und seien es auch verdiente Landesbeamtete, massiv kriminalisiert werden. Hier unterscheidet sich Kretschmann kein µ von Mappus! Warum Palmer uns schließlich glauben machen möchte, dass es auch gar nicht darum ging, die Bürgerbewegung auszuspähen, sondern eben nur darum undichte Stellen zu finden, ist unglaubwürdig und widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Wenn die Polizei oder Staatsanwaltschaft die Möglichkeit hat, Informationen über Aktivisten und Aktionspläne zu erhalten, warum sollten sie das nicht nutzen?

Reicherters Enthüllung, dass zum Beispiel Parkgebete vom Verfassungsschutz beobachtet und mit der Gefahrenstufe 5 eingestuft werden, die morgendlichen Demonstrationen an Bautoren gar mit Stufe 4, zeigt nur, wie paranoid und komplett übertrieben der Staatsapparat auf unsere Bürgerbewegung reagiert. Mit der Hausdurchsuchung bei Reicherter bestätigt sich dieser Eindruck auf’s Deutlichste.

Es ist sehr vielsagend, dass sich bisher noch kein Regierungsmitglied zu dieser „Causa Reicherter“ geäußert hat. Offensichtlich heißt die Regierung Kretschmann dieses Vorgehen gut. Ein Grund mehr für mich, nie wieder Grün zu wählen – auch nicht Fritz Kuhn als angeblich „kleineres Übel“ bei der OB-Wahl! Bisher kann ich bezüglich S21 nicht feststellen, dass Kretschmann ein „kleineres Übel“ wäre als Mappus – warum sollte es Kuhn dann sein? Dann doch lieber klare Verhältnisse ohne Enttäuschungen!

Oben bleiben!

Palmer_fb

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10 Antworten zu 20.7.2012 Zur Causa Palmer eine Anmerkung #s21

  1. Dieter schreibt:

    Herr Palmer,die Art und Weise macht den Unterschied. Herr Reicherter war nur Zeuge und so viel ich mitbekommen habe, wurde es sogar untersagt, daß eine Vertrauensperson bei der Hausdurchsuchung anwesend sein kann. Dies ist rechtlich gar nicht zulässig und das aus gutem Grund. Oder schauen sie sich den anderen Fall mit der Taschenlampe an. Da musste erst ein Gutachten bei Gericht bestätigen das von dem Strahl der Taschenlampe keine Gefahr ausging. Tut mir leid Herr Palmer an diesen Fakten führen keine schönen Worte vorbei.Ich wäre dafür, Richter als Beobachter zu Demos zu schicken. Damit bekommen diese auch mal ein Eindruck von der Realität und dem Wahrheitsgehalt diverser Aussagen vor Gericht. Die Wichtung von Aussagen in der Praxis vor Gericht muss ich jetzt nicht erwähnen.Aber ich kann ihnen auch andere Beispiele aus anderen Bereichen nennen.Energiewende,Kretschmann: das wird ein Prozess von unten nach oben.Realität: In Stuttgart wird eine Bürger b.z.w. Stadtversorgung von unten nach oben mit allen Mitteln verhindert.BildungspolitikVor der Wahl: Der BildungsaufbruchRealität: 1100 Lehrerstellen sollen gestrichen werden, dabei sind die Unterrichtsausfälle heute schon extrem hoch. Wie die Schüler ihren Abschluss oder Abi schaffen, ist mehr als ein Wunder. Das können sie natürlcih nur wissen wenn sie sich die Praxis anschauen oder eben eigene Kinder haben und die Praxis erleben.Nur schöne Worte aber an Euren Taten werdet Ihr gemessen.

  2. Josef Eisele schreibt:

    Palmers Interpretation der Gründe für die Hausdurchsuchung ist bemerkenswert. Es ist doch offensichtlich, dass die Spiegelung zweier Festplatten, die ersichtlich Daten aus dem Bereich der Arbeitsgruppen zu S21 enthalten, unter anderem zu einem juristischen Arbeitskreis, der allgemeinenAusforschung dieses auch Grün-Rot lästigen Widerstandes dienen. Es ging doch nicht um die undichte Stelle im Apparat des Herrn Gall.Diese findet sich allenfalls in diesem Apparat. Aus welchem Grund sich Herr Reicherter ausgerechnet dazu Notizen gemacht haben sollte, kann auch ein Herr Palmer nicht erklären. das setzt ja voraus, dass er die Person kennt, und dann noch so leichtfertig iwäre, das bei sich zu Hause zu notieren.Warum sollte er das? Es beißt keine Maus keinen Faden ab, die Aktion der Staatsanwaltschaft hatte zum Ziel eine allgemeine Ausforschung, die richterliche Erlaubnis wäre mit dieser Begründung nicht zu erlangen gewesen, also hat man eine andere hingeschrieben. Die Beschädigung des Ansehens der Justiz wird hier, wie auch bei den Aktionen Rückenschmerzen, Knalltrauma, Augenödem, Wasserwerferbesatzung, Pfefferspray, Schlagstock, in Kauf genommen, und wohl auch unterschätzt, in ihrem Ausmaß. Aber der wirkliche Hammer in Palmers Stellungnahme ist nicht so sehr seine Unterstützung der Staatsanwaltschaft bei der Bemäntelung der Gründe für die Durchsuchungsaktion.Palmer versteht, dass die Wogen hochschlagen, wenn die Justiz Menschen verfolgt. Er findet aber, dass hier, im konkreten Fall, vielen die Maßstäbe verloren gingen.Er findet es beruhigend, da Kretschmann es ja gar nicht gewusst hätte. Er findet, das Ganze, auch die angeordnete Bespitzelung eines Parkgebetes oder eines Radlertreffs, habe nichts mit einem Polizeistaat zu tun, auch nicht die Hausdurchsuchung. Nachdem sich Boris Palmer mit seinem Vorschlag zum Stresstest schon um die DB AG verdient gemacht hat, hätte er als weiteren Job eigentlich auch die Stelle des Sprechers der Staatsanwaltschaft, oder des Innenministeriums in Aussicht, wenn es mal nicht mehr zum Oberbürgrmeister reichen sollte. Steigbügelhalter für Herrn Schuster war er ja schon, 1996.Und was soll der Hinweis, es ginge im Apparat Gall, in der Abteilung Sicherheit ja auch mal um wichtigere Dinge ais die Geheimnisse der K 21 Bewegung? Und damit die gesichert seien, müsse das Leck gestopft werden. Was ist denn das für eine abenteurliche Interpretation?

  3. Joe schreibt:

    Kretschmann unterscheidet sich in keinster Weise von seinem/seinen Vorgänger/n – allein die Tatsache, dass Palmer diesen Eintrag in seinem facebook-beitrag erwecken möchte zeigt, dass die Nerven etwas blank liegen. CDU hat S21 geplant-die Grünen haben die Planung umgesetzt und dafür gesorgt, dass gebaut wird.Das moralisch verwerfliche daran ist, dass wir alle wußten woran wir mit der CDU sind, während die Grünen uns nach Strich und Faden beschissen haben. Mir fällt kein größerer Betrug am Wähler auf Landesebene ein !Vor den OB-Wahlen ( danach erst recht) muß das Versagen der Grünen unbedingt (nochmal) öffentlich gemacht werden – so unverfroren-ungeschoren dürfen wir das grüne Lügenpack nicht davonkommen lassen. http://www.die-stadtredaktion.de/2011/12/ressorts2/1-meldungen/pressemitteilu…Die neue Landesregierung hätte z.B. diese Möglichkeit gehabt bzw. hat sie heute noch. Art 52 Abs. 2 wäre ein Beitrag zur Befriedung gewesen.Artikel 52(1) Der Ministerpräsident übt das Gnadenrecht aus. Er kann dieses Recht, soweit es sich nicht um schwere Fälle handelt, mit Zustimmung der Regierung auf andere Behörden übertragen.(2) Ein allgemeiner Straferlaß und eine allgemeine Niederschlagung anhängiger Strafverfahren können nur durch Gesetz ausgesprochen werden.Was machen die Grünen ? Sie lassen den Karren laufen – die Strukturen bleiben wie sie sind – ein gerne gewählter Begriff hierfür ist der der „systemhure“ !Zu Reicherter selbst habe ich eine gespaltene Meinung: Kretschmann hat angeblich angemerkt, dass Reicherter in 2 Gespäche mit der Polizeiführung bzw. des StaMi vor der Schloßgartenräumung eingebunden war – er also EIN Teilnehmer dieser bis heute nibulösen Geheimgespräche gewesen ist. Die Geheimgespräche waren ja nichts anderes als Verrat am Protest gegen S21 – eine Fortsetzung der seit gut einem Jahr andauernden Kanalisierung der S21-Bewegung mit keinem geringeren Ziel als deren Schwächung.

  4. Josef Eisele schreibt:

    Bei einem Gespräch oder einem „Dialog“ dabeigewesen zu sein, ist nicht per se bereits eine Schwächung, oder gar ein Verrat. Extrem gesehen wäre dann schon jede Anmeldung zu einer Demonstration ein Schritt in die falsche Richtung.Kretschmann hat ein Interesse daran, die Reputation von Herrn Reicherter herabzusetzen, es kann ihm nicht egal sein, dass hier ein Richter gegen den Justizapparat so qualifiziert Stellung bezieht. Allein seine Dienstaufsichtsbeschwerde zum 30.9.2010 hat Wellen geschlagen. Die Durchsuchung wird das wieder tun. Die Bedeutung des Vorgangs und das der Regierung daraus erwachsene Risiko hat Palmer nicht ohne Grund auf den Plan gebracht, es ist nach der bemerkenswerten Behauptung von der Notwendigkeit für die Regierung, Fehler zu machen, wenn das Volk das verlange, nun schon der zweite Versuch einer „Beschönigung“ unübersehbarer Blößen. Vielleicht geht es ihm gar nicht um Kretschmann, sondern um seine Rolle nach Kretschmann.Nach einem geheimen Abschlussgespräch mit einer gemeinsamen Erklärung zu S21 plus aufgetreten z sein, war natürlich eine Schwächung, keine Frage, da hat einer gefehlt, der klar sagt, was damit bezweckt wird, und das war fatal. Das ist aber was anderes als vor dieser Platzbesetzung Gespräche geführt zu haben. Hier wurde nichts unterschrieben, was den Protest behindert hätte, oder festgelegt hätte, und Herr Reichert ist auch nicht als Sprecher der Stuttgarter Polizei aufgetreten.

  5. Anders schreibt:

    Zunächst mal hat Herr Reicherter Informationen über die Behörden veröffentlicht, die ihn unter Verletzung der Geheimhaltungsvorschriften erreicht haben. Er konnte mit einer solchen Maßnahme rechnen. Und ich frage mich, ob die ihm anvertrauten Informationen vernünftigerweise nicht auf seinem Computer gespeichert werden sollten. Reichert ist Pensionär und kein aktiver Rechtsanwalt. Insofern beginne ich gegen meine Sympathie Herrn Reicherter zu relativieren.Der Erkenntnisgewinn der durchsuchenden Polizei wird den Vertrauensschaden, den sie mit der Art ihres Vorgehen angerichtet hat, nicht aufwiegen können, zumal auch noch der Verfassungsschutz in die Bespitzelungen einvolviert ist, so der Geheimnisverrat.Herrn Palmer kann man nur noch mitteilen, dass sein Bestreben, sich von der Bewegung gegen S21 zu distanzieren, mittlerweile System hat. Mit ihm zu argumentieren ist wohl müßig, da fragt man besser seinen Imageberater.Für den zivilen Ungehorsam ist das ganze Thema allerdings eine neue Herausforderung. Jede Form der Bespitzelung oder Einschüchterung muss bei einer gut aufgestellten Bewegung eigentlich Zulauf für weitere Aktionen auslösen. Das auslösende Element könnte ein neuerdings blockierenden Reicherter (Richter a.D.) sein, sofern er sich in der Lage sieht, die Legitimität dieser Protestart argumentativ öffentlich mitzutragen. Man möge ihm bei den kommenden Montagsdemos mehr Redezeit geben.

  6. Onkel Teddy schreibt:

    Ich finde diesen Palmer-Satz einfach köstlich:“Erstens hat Kretschmann mit Sicherheit nichts von dieser Hausdurchsuchung gewusst…“.Da dürfen wir dann zukünftig feststellen, wenn wieder irgendeine Sauerei zu dem S21-Komplex aufgedeckt: „Wenn das der Kretschmann wüsste…“Tut mir leid, dass mir diese Parallele einfällt…

  7. horstosius schreibt:

    Eiseles 2.Antwort sagt es aus. Denn: Palmers Mentor ist Kretschmann. Kretschmanns Mentor war Fischer. Vor der Wahl Schönreden, nach der Wahl Macht ausüben. Ob die Rechnung diesmal aufgeht darf angezweifelt werden. Erst die eigene Wählerschaft täuschen, dann mit den Argumenten der abgewählten Regierung handeln. Siehe auch Palmers grotesken facebookaufruf v. 03.02.12. Es ist mehr auffällig als zufällig,-oh Wunder- daß Palmer an die „Öffentlichkeit“ ging, nachdem Reicherter am 29.01.12 seine wirklich konstruktiven Bedenken als Mahnung an Kretschmann & Co geschickt hatte. „Solche“ Wunder waren unter Kretschmanns Ägide für sein Stimmvieh eigentlich nicht vorstellbar. Falsch gedacht. GRÜN hat sich entlarvt. Zu früh. Hoffentlich werden Stuttgarts Wähler bei der anstehenden OB-Wahl nicht das kleinere Übel F.Kuhn zum Zuge kommen lassen. Da sein Blick streng nach vorne gerichtet ist, will und kann er sich nicht mit den unfairen Altlasten seiner Partei beschäftigen. Will er doch als 2.te Macht, mit der 1.ten Macht im Lande wenigstens noch 3 Jahre wohlig gemeinsam nach gusto taktieren.

  8. Marienplatz nicht Degerloch schreibt:

    Zwuckel, jetzt has(s)t Du Deinen Palmer, nicht wahr? Die Welt samt Obsessionen wird schwerer, für Zwuckelmänner.

  9. Liane schreibt:

    Ist es nicht logisch und Psycho….., kaum den Helden (der ja nur für die guten Sachen verantwortlich ist, für die Selbstkritik leider keine Zeit hat!!) im Faktencheck gemimt, müssen nun die großen Ziele angestebt werden und das sind: Sicherung der Bundestgswahlen: da muss der kuschelrock deutlich gezeigt werden.Die schon ab Kohl ausgegebene Strategie der Parteien: wir wollen die folgsame Mitläufer-Mitte….So hat die SPD ihre Genossen seit Jahrzehnten links liegen gelassen, so haben die Grünen ihre Demonstranten am Wegesrand liegen lassen (wer erinnert sich nicht an TRITTINs Worte: weder zu….). gerade die Grünen wollen seit Jahren den Schulterschluss mit den Christlich-Konservativen….. Ich war mal bei einer Frühjahrsempfang-Veranstaltung im Rathaus: das sich gegenseitige Anschleimen hat mich damals in die Flucht getrieben (und ich habe auf ein kostenloses Buffet verzichtet 😉 und seitdem ist mein Kind McDoof abhängig!!!)

  10. Zwuckelmann schreibt:

    Hier nun ein offener Brief von Herrn Reicherter auf Palmers Äußerungen (26.08.2012):Sehr geehrter Herr Palmer,auf Umwegen kam mir Ihre Veröffentlichung bei Facebook, in der Sie sichmit meiner Hausdurchsuchung befassen, zur Kenntnis. Ich möchte gernekurz dazu Stellung nehmen.Zunächst hätte ich es höflicher gefunden, nicht von einer Causa Richter,sondern von einer Hausdurchsuchung Reicherter zu sprechen. Zwar trifftes zu, dass die Untersuchung nicht mir (richtiger Name: Reicherter)gegolten hat, sondern einem Unbekannten. Um so höher sind diejuristischen Hürden für eine Hausdurchsuchung bei einem Zeugen inAbwesenheit des Wohnungsinhabers und ohne Hinzuziehung einerVertrauensperson. Vermutlich können Sie sich auch nicht vorstellen,welche Gedanken einem durch den Kopf gehen, wenn man feststellen muss,dass ärztliche Unterlagen der soeben verstorbenen und noch nicht einmalbeigesetzten Mutter wie Schriftstücke der verstorbenen Schwester, aberauch persönliche Unterlagen über meinen Dienst als Vorsitzender Richteram Landgericht, durchwühlt wurden.Leider befassen Sie sich überhaupt nicht mit dem Rahmenbefehl und seinenAuswirkungen auf kritische Bürgerinnen und Bürger. Man hat fast denEindruck, dass Sie die Brisanz der Anordnungen zur Überwachung undBespitzelung und die daraus folgende umfassende Datensammlung überhauptnicht erkannt haben.Beispielsweise wir darin auch angeordnet: “ Die Landespolizeidirektionenbetreiben offene sowie verdeckte Aufklärung und übermitteln relevanteInformationen an die ISa beim Polizeipräsidium Stuttgart unternachrichtlicher Beteiligung des Landeskriminalamtes.““Das Polizeipräsidium Stuttgart stellt eine adäquate und kontinuierlicheÖffentlichkeitsarbeit, insbesondere mit Blick auf die politische undgesellschaftliche Bedeutung des Projekts, zu jeder Zeit sicher.“(Anmerkung: Ich verstehe nicht, weshalb es Aufgabe der Polizei seinsoll, sich an der waschmittelartigen Werbung für Stuttgart 21 zubeteiligen. Das Geld wird für direkte polizeiliche Zwecke, zum Beispielfür Benzin zur Durchführung von Streifenfahrten, viel dringender benötigt.)Vorsorglich möchte ich Ihnen auch mitteilen, dass sich auf meinembeschlagnahmten Computer zahlreiche von Ihnen stammende Dokumentebefinden. Diese stammen aus der Zeit des Stresstests und derVolksabstimmung und entsprechen vielleicht nicht mehr Ihrer heutigenMeinung. Dennoch sind diese Daten jetzt dem Zugriff unbekannter Mächteausgesetzt. Nach den Informationen, die mir der sachbearbeitendeStaatsanwalt gab, wertet die Polizei ohne Kontrolle durchStaatsanwaltschaft oder Gericht meine beiden Computer aus, die komplettgespiegelt, also alle Daten kopiert wurden. Ich weiß nicht, ob außer denauswertenden Polizeibeamten noch andere Personen oder Behörden Zugriffauf diese Daten, also auch auf Ihre, haben. Angesichts des Rahmenbefehlswürde mich dies nicht wundern.Um so mehr bitte ich Sie um Unterstützung für den Vorschlag, denRahmenbefehl ersatzlos aufzuheben.Ich vermisse übrigens bei Ihnen jegliches Verständnis für einenMenschen, der nach reiflicher Überlegung sich entschlossen hat, denrechtswidrigen Rahmenbefehl an die Öffentlichkeit zu bringen. Dies passtzum angeblichen Einsatz für kritische Bürgerinnen und Bürger und derenRechte überhaupt nicht.Im Hinblick auf Ihre Veröffentlichung haben mir mehrere Personenmitgeteilt, dass eine mögliche Änderung Ihrer Einstellung zu Stuttgart21 in Verbindung mit der Einstufung der Universität Tübingen alsEliteuniversität und mit verstärkter Hirnforschung an Affen zusammenhängen könne. Ich selbst kann dies nicht beurteilen, wäre jedoch fürIhre öffentliche Stellungnahme zu dieser Vermutung sehr dankbar.Ich erlaube mir, dieses Schreiben zu veröffentlichen.Mit freundlichen GrüßenDieter Reicherter (nicht Richter)

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