Einen großen Topf und einmal gut umrühren, bitte!

Was haben „Pegida“, „Russlandversteher“ und TTIP-Gegner gemeinsam?

„Pegida“ nährt sich (ähnlich wie die Bildungsplangegner hier in Stuttgart) aus wirrer Xenophobie und diffusen Abstiegsängsten. Die Untätigkeit gerade der deutschen Politik in der Flüchtlingsfrage; Die von Deutschland getriebene Austeritätspolitik in der EU, die Deutschland zumindest wirtschaftlich kurzfristig und auf Kosten der anderen EU-Mitgliedsländer zu einer „Insel der Glückseligen“ macht; Die systematische, menschenverachtende und rechtlich äußerst fragwürdige Abschottung der EU gen Süden und Osten, das alles fördert ein Gefühl der stetigen, latenten Bedrohung durch alles Fremde. Dieses Klima ist es, das „Pegida“ erst den Raum gibt, sich in dieser Form zu entfalten.

Die „Russlandversteher“ hingegen wirken vor allem im Kontrast zu den bewiesenermaßen einseitig berichtenden Massenmedien. Menschen, die eine ausgewogene, nicht populistische und nicht hetzende Berichterstattung verlangen, die also genau das von den Medien einfordern, was die Medien sich selbst auf die Fahne schreiben, werden von eben diesen Medien abfällig als Russland- oder Putinversteher tituliert, gar als von Russland bezahlte Meinungsbildner verhöhnt. Kritische Journalisten, die die Verbindungen einflussreicher, meinungsführender Journalisten zu Lobbyorganisationen der NATO veröffentlichen, werden von eben diesen meinungsführenden Journalisten gleichzeitig juristisch verfolgt.

Und die TTIP-Gegner schließlich haben doch sehr rationale, fundierte Gründe, warum sie die Freihandelsabkommen mit den USA und mit Kanada ablehnen. Geheime Verhandlungen dieses Ausmaßes ohne die frühzeitige Einbeziehung der Parlamente; Die Umgehung der rechtsstaatlichen Instanzen durch private Gerichte, denen sich die Unterzeichnerstaaten blind unterwerfen; Umstrittene und kaum belegte wirtschaftliche Effekte auf Beschäftigung und Sozialprodukt der Unterzeichnerstaaten – es gibt zahlreiche Gründe, warum diese Freihandelsabkommen kritisch zu betrachten sind, Gründe, die bisher noch von keinem Politiker, Wirtschaftsführer oder Journalisten befriedigend aus der Welt geschafft werden konnten. Dass von diesen stattdessen einzig an Treu und Glauben appelliert wird, zeigt, dass Kritik unbedingt angebracht ist.

Was haben Pegida, Russlandversteher und TTIP-Gegner nun also gemeinsam?

So gut wie nichts, würde ich sagen, einzig das aus sehr unterschiedlichen Quellen gespeiste Gefühl einer Gefährdung: im Falle von „Pegida“ der irrationalen Gefährdung des persönlichen Status, im Falle der „Putinversteher“ der medial geförderten Gefährdung des Weltfriedens, im Falle der TTIP-Gegner der intransparenten, transnationalen Gefährdung der demokratischen Rechtsstaatlichkeit.

Ein Meister des meinungsbildenden Populismus, der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe, bringt es in der letzten ZEIT-Ausgabe des Jahres 2014 (Nr. 53) in seiner Kolumne Zeitgeist nun dennoch fertig, sehr geschickt alle ihm unliebsamen Gruppierungen (Pegida, Russlandversteher, Kapitalismuskritiker, Kritiker eines ungezügelten Finanzkapitalismus, TTIP-Gegner und „Postdemokraten“) in einen Topf zu werfen, kräftig umzurühren und einen angeblich gemeinsamen Nenner für ihre Existenz zu finden, nämlich „das Trio von Ressentiment, Angst und Abwehr, das Instrument des Populismus: Politik von ‚unten‘ gegen ‚die da oben‘.“

Mit dieser Verkürzung wird Joffe der Komplexität der aktuellen Situation nicht gerecht – und verfällt damit selbst einem in hohem Maße verantwortungslosen Populismus. Einer dumpfen, kleinbürgerlichen, irrealen und irrationalen Angst vor Fremden und vor dem Fremden ist politisch, gesellschaftlich und auch medial anders zu begegnen, als einer kritisch-begründeten, rationalen und faktenbasierten Angst um demokratische Institutionen und Prozesse. Auch wenn in beiden Fällen die Gefährdung ein zentrales Motiv ist, darf doch nicht übersehen werden, um welche Art von Gefährdung es jeweils geht. Doch genau das macht Joffe und suggeriert, dass in allen fällen dieselben irrationalen Kräfte am Werke seien.

„Der Historiker weiß, dass dieses ideologische Gemenge nicht neu ist. Es ist die klassische Begleitmusik des Krisengefühls.“ Hier mag Joffe recht haben, in der Gesamtschau kann man durchaus von einem Krisengefühl sprechen, dass einen angesichts zahlreicher Gefährdungen beschleichen kann – doch anders, als Joffe meint. Denn ein „Krisengefühl“ kann durchaus berechtigte, reale Ursachen haben, wie man als Historiker auch wissen sollte. Joffe schließt mit dem Satz: „Ein guter Streit hat noch keiner Demokratie geschadet; er ist ihr vornehmstes Merkmal.“ Hier kann ich ihm endlich einmal unumwunden beipflichten. Ohne Streit keine Demokratie! So ist es!

Wir als verantwortungsvolle Bürger schulden es deshalb einer lebendigen Demokratie, am Montag, den 5. Januar um 17 Uhr auf die Straße zu gehen gegen „Stugida“, dem Stuttgarter Ableger von „Pegida“, der an diesem Tag eine Demonstration in Stuttgart plant. Streiten wir für ein weltoffenes, flüchtlingsfreundliches, menschliches, für ein für alle Menschen lebenswertes Stuttgart!

Nähere Infos zur Demo bei den AnStiftern und hier.

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5 Antworten zu Einen großen Topf und einmal gut umrühren, bitte!

  1. Eisenbart schreibt:

    Zunächst mal möchte ich sehen, wer zu STUPIDA überhaupt hingeht und welches Niveau dann diese Veranstaltung hat. Es mag einen gewissen Reiz haben, zu den Ersten zu gehören, die für eine eingeübte Klientel einen neuen Demonstrationsanlass finden. Und für sowas sind die Anstifter nun halt mal zuständig. Bei den Montagsdemos gegen S21 hat man ja nicht mehr das ganze Spektrum beieinander. Und man braucht mal wieder einen Zählappell. Für die ersten und die letzten Demos dieser Art bitte ich also, meine Abwesenheit zu entschuldigen. Schönen Gruß an die Anstifter.

  2. Karl Nepp schreibt:

    Also für STUPIDA werden nach letzten Informationen etwa 1000 Teilnehmer erwartet. Bei der Anti-TTIP-Demo in Stuttgart vor ein paar Wochen kamen gerade mal so ca. 30-40 Leute auf dem Marktplatz zusammen. Für mich ist die STUPIDA ein Public-Relations-Event, an dem ich sicherlich nicht teilnehmen werde.

  3. Eisenbart schreibt:

    Die Dinge wandeln sich: zu dieser Gegendemo tritt offenbar alles an, was irgendwie an dieser Demokratie und dieser freiheitlichen Gesellschaft festhalten will – naja, zumindest der fortschrittliche Teil des politischen Spektrums. So sehe ich es als meine staatsbürgerliche Pflicht an, beim Start dabei zu sein.

  4. Beobachter schreibt:

    Ich sehe im Verhalten der pegida-Anhänger und der S21-Gegner extrem viele sich ähnelnde Verhaltensweisen.
    Beide Organisationen schotten sich „ideologisch“ sektenmäßig ab, erklären den Staat zum Buhmann und die Presse zur Lügenpresse, weil diese (auch) andere Positionen veröffentlicht. Dann wird noch mit irgendwelchen pseudowissenschaftlichen Begriffen um sich geworfen und mit den wildesten Verschwörungstheorien hausieren gegangen.
    Inhaltliche Diskussionen mit anderen werden abgeblockt und Personen mit anderer Auffassung einfach geblockt / zensiert.

  5. weisshaupt schreibt:

    Ich sehe im Verhalten der Politik und der „Lügenpresse“ extrem viele sich ähnelnde Verhaltensweisen.
    Beide Organisationen schotten sich “ideologisch” sektenmäßig ab, erklären ihre Kritiker zum Buhmann und die Demonstranten zu Rechts-/Linksextremen, Gewaltbereiten, wohlstandsverwöhnten Hartz4-Empfängern und Halbhöhenbewohnern, Antisemiten, Berufsdemonstanten (und was nicht sonst alles), weil diese (auch) andere Positionen veröffentlichen. Dann wird noch mit irgendwelchen pseudowissenschaftlichen Begriffen um sich geworfen und mit den wildesten Verschwörungstheorien hausieren gegangen.
    Inhaltliche Diskussionen mit anderen werden abgeblockt und Personen mit anderer Auffassung einfach geblockt / zensiert.

    …eigenartig – irgendwo hab ich so einen ähnlichen Text schonmal gelesen…

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