Gestörte Relationen

Groß war die Empörung über die Einstellung des Wasserwerferprozesses vor wenigen Tagen. Die Richterin sah nur eine geringe Schuld vorliegen, außerdem wäre der Wasserwerfereinsatz rechtmäßig gewesen (was bis heute hoch umstritten ist genauso wie die Räumung des Parks selbst!), eine weitere Verfolgung läge nicht im Interesse der Öffentlichkeit und, der skandalöseste Teil der Begründung, die Demonstranten hätten ja weggegeben können, dann wären sie nicht verletzt worden. Die Angeklagten kaufen sich für 3.000 Euro frei und sind weder vorbestraft, noch haben sie anderweitig Nachteile, auch wenn über 400 Demonstranten damals, am 30.09.2010 verletzt wurden.

Wenige Tage später, am 03.12.2014 urteilte ein Stuttgarter Gericht über das Betreten der Baustelle am Jahrestag der Parkräumung am 14.02.2013. Einige Aktivisten betraten damals den ehemaligen Mittleren Schlossgarten durch ein offen stehendes Tor, zündeten auf der Brache Kerzen an und entrollten ein Banner. Nichts weiter geschah, als diese Aktivisten auf dem Gelände des zukünftigen Bahnhofs mitten in der Nacht ausharrten. Es wurde nichts zerstört, es wurde nichts verändert, es wurden einzig Kerzen aufgestellt und es wurde ein Banner entrollt.

Die Polizei, die vom Sicherheitsdienst gerufen wurde, kam in Mannschaftsstärke und führte die Aktivisten kurzerhand ab. Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs folgten auf den Fuß – und wurden nun verhandelt. Dabei war sich das Gericht nicht zu schade, einen Aktivisten zu 60 Tagessätzen zu verurteilen, einen Aktivisten wohlgemerkt, der ein monatliches Einkommen von unter 1.000 Euro bezieht. Die zu zahlende Strafe beläuft sich auf 900 Euro, also ziemlich genau einem Drittel dessen, was ein gut bezahlter Beamter in Stuttgart für über 400 verletzte Demonstranten zahlt. Geringe Schuld? Kein öffentliches Interesse? Das darf es bei Gegnern von Stuttgart 21 nicht geben! Nicht umsonst sprechen selbst einige Juristen von politischer Justiz hier in Stuttgart.

Auch wenn Juristen wohl argumentiert darlegen können, warum das alles schon seine Richtigkeit hätte, bleibt für den Laien und engagierten Bürger ein sehr schaler Beigeschmack und das beständige Gefühl zurück, dass in diesem Rechtsstaat mit zweierlei Maß gemessen wird.

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5 Antworten zu Gestörte Relationen

  1. der Bodenseeher schreibt:

    Warum der Polizist mit einer geringen Buße davon kam, konnte man in den Zeitungen nachlesen. Aber hat der Aktivist seine vergleichsweise hohe Geldstrafe wirklich nur fürs Kerzenaufstellen bekommen? Oder verschweigen Sie da was wie Widerstand und Beleidigungen gegen Beamte, Wiederholungstäter bei Hausfriedensbruch etc?
    Das wäre schon wichtig zu wissen, um sich ein eigenes Bild zu machen. So wie er ist, nährt Ihr Eintrag den Verdacht, sie wären auf diesem Auge blind.
    meint
    Der Bodenseeher

  2. Rüdiger schreibt:

    Die Anzahl der Tagessätze wird selbstverständlich nicht vom Einkommen des Angeklagten abhängig gemacht – und das ist auch richtig und gut so.

    Die Höhe des Tagessatzes ergibt sich dann aus dem Einkommen des Angeklagten, wobei das Gericht offensichtlich sehr großzügig nach unten abrundete und ein einem Einkommen von 30 € pro Tag einen TS von nur 15 € ansetzte.

    I.Ü. kommt es, wie der Bodenseeher schreibt, auch noch auf weitere Umstände an welche hier unerwähnt bleiben.

    • zwuckelmann schreibt:

      Natürlich ist es richtig, dass die jeweiligen individuellen Umstände beachtet werden müssen. Es gibt jedoch unzählige weitere Beispiele für das, was ich ausdrücken will: Ganz aktuell: während der Parkräumung hatten sich zwei Frauen mit Fahrradschlössern festgekettet. Es dauerte einige Zeit, bis die Polizei diese geöffnet und die Frauen aus dem Park begleiten konnten. Die Frauen verhielten sich kooperativ, das bestätigen die befragten Polizisten. In erster Instanz wurden die Frauen verurteilt wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt – eine in Deutschland einmalige Rechtsauslegung! In zweiter Instanz wurden die Frauen frei gesprochen, da sich fest zu ketten und quasi passiven Widerstand zu leisten eben keine Gewalt darstellt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart kann diesen Freispruch nicht hinnehmen und legte nun Revision ein. Warum dieser Verfolgungswahn der Stuttgarter Staatsanwaltschaft? Warum treiben sie diese wirklich nebensächlichen Verfahren bis an die äußersten Grenzen und brechen Verfahren, bei denen es um viele Verletzte geht, einfach ab? Da kann man nur von politischer Justiz sprechen!

  3. Der Bodenseeher schreibt:

    Ohje Zwuckelmann,
    statt meinen Einwand der fehlenden Gesamtbetrachtung zu widerlegen, wiederholen Sie diese einseitige Betrachtung einfach bei einem zweiten „Fall“.
    Ich mach´s mal wie Sie, mit „Ihren“ Fällen:
    Daß eine politische Justiz zugunsten der S21 Gegner vorliegt ist doch ganz eindeutig: Seit die Grünen an de Regierung sind, werden Polizisten, die nur nach bestem Wissen und Gewissen einen ihnen befohlenen Einsatz gegen S21 Gegner durchführen, mit 3000 Euro bestraft , obwohl Ihnen keinerlei persönliche Schuld nachgewiesen werden konnte. Chaoten, die sich mit Fahrradschlössern anketten, nur um Ärger bei der Räumung illegaler Blockaden zu machen, werden dagegen freigesprochen.
    Sie halten diese Argumentation für Blödsinn? Ich auch, das gilt allerdings auch für Ihre gegenteilige Argumentation.
    Politische Justiz ist immer ein Thema, auf das man ein Auge haben sollte, da gebe ich Ihnen recht. Was Sie allerdings mit dem Blogeintrag bewerkstelligen, ist platte Demagogie,

    meint der Bodenseeher

  4. Conrad schreibt:

    Wie die Entscheidung des OLG zeigt, ist die Rechtsprechung des AG offensichtlich doch nicht so einmalig, sondern deckt sich mit der Rechtsauffassung des BGH.

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