14.12.2011 Bürgerbeteiligung a la Schuster #s21

Viel wurde geredet darüber, dass Großprojekte seit Stuttgart21 nicht mehr in dieser Form durchgesetzt werden könnten. Bürger müssten in Zukunft an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Man müsse mit den Bürgern reden. Man müsse Bürger „abholen“, um ihre Zustimmung zu Projekten zu erhalten.

Übersehen wird gerne, dass es diese Form der Bürgerbeteiligung ja schon längst gibt! Gerade in den letzten Tagen konnte man sehen, wie wirksam Bürgerbegehren als Mitbestimmungsmöglichkeit für Bürger sind: in Lindau durften die Lindauer Bürger über ihren Bahnhof entscheiden, in Gaildorf wurde über einen Naturstromspeicher abgestimmt.

In Stuttgart hingegen tut man so, als müsse „Bürgerbeteiligung“ neu erfunden werden – dabei gab es wiederholt den Wunsch nach einem Bürgerbegehren zu Stuttgart21, was aber von OB Schuster und vom Gemeinderat wiederholt abgelehnt wurde. Stattdessen wurde schon vor Jahren ein Forum eingerichtet, bei dem die Bürger anscheinend mitreden durften – über die Gestaltung von neuen Wohnquartieren und sonstigen Flächen. Es gab Experten und hohe Politiker auf einer Bühne und das normale Volk im Saal, das Fragen stellen durfte – schon allein diese Form macht deutlich, wie in Stuttgart Bürgerbeteiligung gesehen wird, nämlich von oben herab. Die Stadtoberen wissen schon, was für „ihr“ Volk gut ist. Es ging in diesen Foren aber nie um das „Ob“, sondern immer nur um das „Wie“. Schon damals war das Wort „Beteiligung“ eher eine Verhöhnung der engagierten Stuttgarter Bevölkerung als ein ernsthafter Versuch, Bürger mitreden zu lassen.

Wenn Bürgerbeteiligung von den Mächtigen reine Lippenbekenntnisse sind und sie die Möglichkeit haben, die einzig wahre Form der Bürgerbeteiligung in Form von Bürgerbegehren aktiv zu verhindern, hat sie letztlich keine Chance – das ist die eigentliche Lehre aus der verkorksten Situation um Stuttgart21. Anstatt diesen Missstand zu ändern und die Durchführung von Bürgerbegehren von der Zustimmung der kommunalen Vertretung abzukoppeln, werden neue Formen von Pseudo-Bürgerbeteiligung aus dem Boden gestampft, die meist den Wortbestandteil „beteiligung“ ebensowenig verdienen wie die bisherigen Versuche der Stuttgarter Stadtoberen.

So gibt es nun also das BürgerFORUM S21 Am Montag, 19. Dezember startet dieses neue Format mit einem „Expertenforum“ zur Baumverpflanzung. „Das Expertenforum kommt bei noch offenen Gestaltungsfragen zum Einsatz. Die Teilnehmer dieser Runde werden durch den Koordinationskreis Bürgerforum ausgewählt. Bei den Veranstaltungen ist die Öffentlichkeit live via Internet-Stream zugeschaltet und kann über verschiedene Kanäle mitdiskutieren und Fragen einbringen. Hier werden wichtige Gestaltungsoptionen von Experten diskutiert und konkrete Ergebnisse dem Koordinationskreis vorgeschlagen. Am 19.12.2011 tritt das Expertenforum erstmals zusammen. In der Runde wird darüber diskutiert, wie man mit den Bäumen im Stuttgarter Schlossgarten umgeht. Welche Bäume sind verpflanzbar und welche Ausgleichsmaßnahmen sind angebracht.“

Im Rathaus treffen sich also vom „Koordinationskreis Bürgerforum“ ausgewählte Experten. „An dieser Steuerungsgruppe (dem Koordinationskreis Bürgerforum) werden Mitglieder des Stuttgarter Gemeinderats, Vertreter von Bahn und Land, der Zivilgesellschaft, der Region, Stuttgarter Bezirksvorsteher und Vertreter des Jugend- und Seniorenrats teilnehmen.“ Dass hier die „Zivilgesellschaft“, also die eigentlich engagierten Bürger schlechthin, nur diffus und nicht näher definiert vorkommen, lässt Schlimmes ahnen. Der Kreis besteht also eigentlich aus den üblichen Verdächtigen.

Die von diesem Gremium ausgewählten Experten diskutieren also am 19.12. miteinander, haben aber keinen direkten Kontakt zu Bürgern. Was hat das mit Bürgerbeteiligung zu tun? Beteiligung sei ausschließlich über Facebook, Twitter und Email möglich – allerdings weiß jeder, der sich mit derartigen Beteiligungsformen beschäftigt hat, wie unmöglich es ist, hier von „direkter“ Beteiligung zu sprechen. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass nur Fragen und Beiträge an die Experten gegeben werden, die „auf Linie“ sind und einen gewissen Grad an Kritik nicht übersteigen. Direkte, ungesteuerte und eine solche Bürgerbeteiligung eigentlich erst ermöglichende Form von ungefilterten, „rohen“ und oft kritikreichen Wortbeiträgen sind nicht möglich und werden, wenn sie denn getwittert werden, den Auswahlfilter, welche Fragen weitergegeben werden, bestimmt nicht durchdringen. Übrigens ist auch der „Moderator“ seit jeher derselbe: Ortwin Renn. Das macht die Sache wirklich nicht besser!

Durch diese Anlage ist auch dieses Forum von vornherein zum Scheitern verurteilt und verkommt, wie so vieles, was sich die Stadt Stuttgart und die anderen Projektbefürworter ausdenken, zur reinen Farce und zu einer weiteren Beruhigungspille für kritische Bürger. Bürgerbeteiligung? Fehlanzeige!

Vergesst also dieses Forum, stellt keine Fragen, boykottiert es, investiert keine unnötige Kraft! Stattdessen kümmert Euch um den Park! Kommt in den Park, sprecht mit anderen, die dort sind, tankt Kraft für den Widerstand, und schaut Euch die Bäume an – wer weiß, wie lange das noch möglich sein wird!

Oben bleiben!

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2 Antworten zu 14.12.2011 Bürgerbeteiligung a la Schuster #s21

  1. Peter Großmann schreibt:

    Wieso sind die Bäume im Schlossgarten so viel mehr wert als andere Bäume?Hier wird unsinnig viel Geld ausgegeben.Es ist offensichtlich, dass es nicht um die Bäume geht.Die Bäume sind hier Mittel zum Zweck, nämlich S21 zu behindern möglichst aber zu verhindern, egal was es kostet.

  2. Benjamin schreibt:

    @Peter Großmann:Wie oft soll man es noch wiederholen, damit es auch der Letzte mitbekommen hat? Die Bäume im Schlossgarten, um die es geht, sind deshalb so viel wert, weil sie- 1. dort stehen, wo sie als Luftreiniger, Sauerstoff- und Schattenspender so dringend gebraucht werden, nämlich in der am stärksten Feinstaub-belasteten Stadtmitte,- 2. so riesig, alt und schön sind. Sie haben teilweise über 200 Jahre gebraucht, um so groß zu werden; kleine Bäume sind nur einen Bruchteil so effektiv in Ihrer positiven Umweltwirkung.Sind sind eben alles Andere als nur „Mittel zum Zweck“! Ihre drohende Fällung ist jedoch – dass darf man nicht vergessen – nur EIN Teil des ganzen unsäglichen Puzzles namens S21. Die Vielzahl der risikoreichen Maßnahmen im Rahmen der S21-Bautätigkeiten machen zusammengenommen, neben dem äußerst fragwürdigen Verkehrsnutzen und den ausufernden Kosten, zusammengenommen die volkswirtschaftlich schädliche Wirkung des Projektes aus. Die angekündigten „Baumverpflanzungen“ sind ohnehin für die großen, alten Bäume nicht machbar, das wissen halbwegs Infomrierte schon länger, und damit mehr oder weniger rausgeschmissenes Geld (im Vergleich zu den Gesamtkosten allerdings verschwindend wenig, weswegen man es als „Nebelkerze“ mal versucht).

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